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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
Autoren: Die Toten Hosen
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Bereichen Vertrieb und Promotion sowieso alles selbst machten, von der Produktion druckfertiger Bänder über die Konzeption der Kampagnen bis zum Artwork - wozu dann noch mit einer anderen Firma Zusammengehen, deren Apparat einen guten Teil der Umsätze schluckte? Was wir brauchten, war in erster Linie ein fähiges Vertriebssystem, und deshalb begannen wir Angebote für einen Vertriebsvertrag zu sondieren. Von den drei großen Companies aber, die uns ihr Angebot unterbreiteten, war das von Otterstein klar das beste.
    Es war keine bequeme Entscheidung, sich vom Mutterschiff des großen Labels zu lösen. Wir mußten nun unsere eigenen Promotion-Leute herumschicken, die mit nichts anderem wedeln konnten als mit uns. Kein »Wenn-ihr-die-spielt-kriegt-ihr-auch-die« bei den Radiosendern mehr, definitives Ende aller Package-Deals. Aber selbst Udo Lange ließ uns wissen, daß wir diesen Vertrag besser unterschreiben sollten. Es sei »der Totengräber der Branche«, meinte er, wenn alle großen Acts in Zukunft nur noch solche Deals mit den Companies machten, aber für uns sei es von Vorteil.
    Udo machte auch keine große Geschichte daraus, daß man je nach Sichtweise darüber streiten konnte, ob wir überhaupt schon die vertraglich vereinbarte Zahl an Veröffentlichungen bei Virgin abgeliefert hatten. »Ich sehe euch lieber backstage bei einem Konzert als mit Anwälten vor Gericht«, sagte er. Und damit hatte er selbst den Hammer fallen lassen, der Otterstein den Zuschlag erteilte.
    Entscheidend war für uns, daß wir durch die Unterschrift im Elysee-Hotel nun ohne fremde Hilfe schwimmen konnten, als eigene Firma mit völliger Kontrolle und einem eigenen Apparat. Aber auch mit größerem Risiko: Sollten wir mit dem nächsten Album den Jackpot knacken, bliebe davon mehr bei uns hängen als je zuvor; sollte »Opium« floppen, müßten wir noch reichlich draufzahlen. Wir werden im Pantheon des Pop landen oder in der Hölle, aber nicht auf der Mitte, beim ewigen Unentschieden. So geht es in Ordnung.
    Der Rest, das ist nicht einfach zu erzählen. Von einem bestimmten Punkt an wird es selbstgerecht, seine Erfolge auszuwalzen. Die noch erfolgreichere Platte, die noch erfolgreichere Tournee - na prima, Glückwunsch! Wichtiger ist doch, was sonst noch so passiert ist, denn die wahre Kreuzfahrt geht immer wieder in neue Gefilde.
    Wir blieben auf großer Fahrt nach dem skandinavischen Festspiel-Sommer '94 und machten zweimal an der britischen Insel fest. Zunächst waren wir als Support für Terrorvision unterwegs, die uns in einer Art Schüleraustausch-Programm später als Vorband bei unseren Auftritten halfen. Wir hatten ohne Not die gesamte Crew mitgenommen und dadurch alles andere als Gewinne gemacht. Der Spaß dabei kompensierte aber unsere Verluste. Das zweite Mal, im Dezember, hatten wir eingedenk der englischen Küche gleich vorab in leicht zuzubereitende Lebensmittel investiert. Security-Meyer, Champion aller Fleischfresser, importierte etwa zweihundertfünfzig Rindswürste für den Eigenverbrauch. Auch diese Tour machte uns nicht berühmt in England, aber mußte sie das?
    Wir wollten die Welt sehen und wer auf ihr lebt, und so unternahmen wir weitere Betriebsausflüge nach Kanada und an die Ostküste der USA, als Vorband für Green Day. Auf diese Art erlebten wir einige der schönsten Eishockey-Arenen der NHL-League, denn das waren gewöhnlich die Hallen, in denen wir spielten. Und endlich verschlug es uns Anfang Oktober noch einmal nach Argentinien.
    Man stelle sich vor: ein vollgepackter Jumbo Frankfurt-Buenos Aires, die Hosen werden von der Besatzung erkannt und zum Käptn ins Cockpit gebeten. Die mittlere Bordküche wird beschlagnahmt, alle haben Spaß, nur der Schlagzeuger nicht. Der hat eine Fleischvergiftung noch gar nicht richtig hinter sich und drückt der Stewardess sein mitgebrachtes Alete-Fläschchen, neuntausend Meter über dem Atlantik, kleinlaut in die Hände. »Could you please, äh, boil up...« Aber welcher normale Mensch möchte sowas von einem Rockstar hören: »Tja, neulich flog ich mal wieder nach Aires, so’n Konzert in so’nem Stadion geben irgendwie, aber ihr ahnt gar nicht, wie schlecht es mir da eigentlich ging...«
    Es war das Konzert im »Estadio Obras« in Aires bzw. die daran anschließende Reise nach Patagonien, die uns die letzte entscheidende Erleuchtung im Rock’n’Roll-Kosmos verschaffte. Hier unten, am windgepeitschten, menschenarmen Ende der Welt, direkt an der Steilküste, stießen
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