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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
Autoren: Die Toten Hosen
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Stimme. Ich habe immer gedacht, ich bin eben der Sänger der Hosen. Wenn die Hosen spielen, singe ich dazu, schon weil ich kein Instrument kann. Meine Stimme war für mich Ersatz für ein Instrument. Ein Instrument muß man pflegen, logisch, aber einen Instrumentener-satz?
    Im nächsten Frühjahr beginne ich eine halbe Stunde vor dem Konzert mit meinem Einsingen. Ich klettere dann in den geparkten Tourbus oder suche mir irgendwo hinter der Bühne einen Raum. Und dann fange ich an: »Lalalalalalala, Lilililililili...« Mein Gott, es wäre mir peinlich, wenn mich Andi oder Kuddel oder sonstwer so sehen würden. Aber noch bescheuerter wäre es, wenn wir wegen meiner Stimme noch einmal mehr als ein Dutzend Dates verschieben müßten. Dann lieber diese komische Artistennummer hier, von wegen »Lalalalili«. Ist ja im Grunde nichts anderes, als wenn Frankie Mill vor dem Fortuna-Kick auf dem Rasen steht und seine Dehnübungen macht. Der große Profi. Und es ist auch eine kleine Zeitspanne, wo ich mit mir selbst und meinen Gedanken alleine bin; fast wie Meditieren, oder Beten.Jeden-falls beginnt es, mir zu gefallen.
    Bis vor kurzem noch habe ich, statt mit Kochsalz-Wasser zu gurgeln, lieber Altbier getrunken - schon weil der Alk meine Höllenangst vor dem Auf-der-Bühne-Stehen viel besser betäubte. »Tinkturen« waren für mich Mittel gegen Brandblasen und wunde Füße. Die Stimme pflegen - das war ja schon deshalb scheiße, weil es nach Artistendasein und Handwerker-Gewissenhaftigkeit klang. Ich habe mich nie als »Musiker« gesehen, auch wenn ich im Computer des Finanzamts Düsseldorf-Mitte mit Sicherheit so erfaßt bin. Das ist keine kokette Nummer. Wenn ZK oder Male oder Mittagspause und all die anderen Bands einen kleinsten gemeinsamen Nenner hatten, dann war es der Angriff auf diese Pose des »professionellen« Musikers. Dieser Typ des Gitarren-Wichsers (auch gerne Keyboard!), der seine Riffs möglichst perfekt runterschrubbt, ohne auch nur die kleinste Faser von sich preiszugeben, diese entseelte Kunstkacke eben, war auch eine Form der Herrschaft, gegen die es ging.
    Daher zu der Zeit die häufig ins Chaos abgleitenden Auftritte, wo irgendwann gegen Konzertende die Hälfte der Zuhörer mit auf der Bühne stand, oder die gesamte Band im Zuschauerknäuel, und alle gleichzeitig ins Mikro krähten, die Gitarren bearbeiteten oder sonstwie Schallwellen erzeugten. Es war wie Rex Gildo,Jürgen Marcus, Caterina Valente und Silvio Franceso auf der großen Treppe am Schluß der Donnerstagabend-Show, nur daß die Glotzer und Arschhocker hier rebellierten und mit ins Bild kamen.
    Es gab damals unglaubliche Leute an der Klampfe, die dir nicht sagen konnten, welche Gitarre mit welchem Effektgerät und so weiter sie da spielten; es kümmerte sie einfach nicht. Sie drehten die Knöpfe auf und hauten dir einen Sound um die Ohren, daß dir der Mund offen stehen blieb. Ich habe mal die Managing Directors im »Ratinger Hof« erlebt, als ihnen die Gitarrenbox ausfiel. Der Gitarrist trat einfach gegen seinen Amp, der Sound war wieder da, und das
    Set wurde weitergefahren. Ob das nun ein Trick war oder nicht - als Umgang mit dem Instrument war es vorbildlich. Kauf dir meinetwegen eine Gibson Les Paul oder eine 62er Fender, aber papp eine selbstklebende Küchenfolie drauf oder, noch besser, eine Unterwasser-Folie für Aquarianer -das genau war die Idee von Punkrock. Sieh nach Scheiße aus, aber entwickel einen Superbums! Mach dein eigenes Ding!
    Wir haben immer voll losgeballert, bei ZK wie bei den Hosen. Wir haben uns den Arsch aus der Hose gearbeitet bei dem Versuch, unseren Soünd richtig dick zu kriegen - also keinen kunstgewerblichen Klimpersound anzubieten. Wie in den Fußballstadien von Chelsea, Tottenham, Leeds und Liverpool neunzig Minuten lang alles gegeben wird, haben auch wir uns immer voll reingehängt. Wie bei den englischen Clubs kann man auch über uns sagen, daß es technisch besser sein könnte oder daß es hier und da mal voll daneben ging. Aber niemand kann sagen, daß wir uns irgendwann und irgendwo keine Mühe gemacht und nur was abgespult hätten. Deshalb war es immer ein Vorteil, das Arbeitsgerät nicht so gut zu beherrschen, daß man damit auf jede erdenkliche Art lügen könnte.
    Kuddel zum Beispiel könnte sicher hervorragend lügen. Er ist der einzige von uns, der mit seinem Instrument, wie überhaupt mit so ziemlich allen Instrumenten, diesen unangenehmen Geruch von Perfektion verbreitet. Ich habe ihn in
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