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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
Autoren: Die Toten Hosen
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Zeitpunkt an nicht mehr für mich in Anspruch nehmen, wo mein Bruder John mir das »No more Heroes!« aus dem Sturkopf gescheucht hatte. Und daß ich in all diesen Jahren um eine ordentliche Erwerbstätigkeit herumgekommen bin, dieser Gedanke fühlt sich noch immer sehr angenehm an.
    Meine Spezialnummer bei ZK begann früh am Nachmittag, etwa ab zwei. Ich hatte mir bis dahin immer schon ein paar Pullen reingeschraubt, um die Angst vor dem Auftritt runterzuspülen. Ich konnte jahrelang einfach nicht nüchtern rausgehen und singen. Ich saß dann mit meinem Bierchen eingeknickt vor den Clubs oder den Jugendheimen, in denen wir am Abend spielten, und schnorrte die Leute an. »Ey, haste mal ’ne Mark oder ’n Fünfer?« Ich sah so fertig aus, daß selbst die Punks mich bedauert haben. Das fand ich toll: Die Kids gehen alle an dir vorbei und holen sich ihre Karten fürs Konzert und bedauern dich, und dann kommt diese arme Wurst auf die Bühne und bringt genau den Auftritt, für den sie bezahlt haben! Ich habe es geliebt, die Leute für einen jungen Typ bezahlen zu lassen, den sie eben noch mit ihrem Mitleid und ihrer Häme übergossen hatten.
    Ich war vor den Auftritten immer im Publikum, nie backstage. Das war meine Art, mich auf das Konzert vorzubereiten, ein Gefühl zu kriegen für die Leute, für die Halle. Diese Energien gingen mir durch und durch. Aber es funktionierte natürlich nur, solange mich kaum einer erkannte. Später, bei den Hosen, begannen sich Pulks um mich zu bilden, wenn ich im Publikum auftauchte. Es irritierte mich, ständig angequatscht zu werden; es war einfach blöd. Heute muß ich nicht mehr meine Pullen vor dem Auftritt haben, und ich komme auch damit klar, erst mit dem Beginn des Konzerts auf die Leute vor mir zu prallen. Richtig toll finde ich es aber immer noch nicht.
    Im Ausland mische ich mich heute noch unter den Mob, ich wühle und wandere da durch wie ein Seehund im Wasser. Es ist nach wie vor die beste Art, sich auf die zwei Stunden da oben einzustimmen. Dann ist es wieder so, als wären wir immer noch ZK und hätten diesen großen, schwarzen Magier-Koffer dabei, auf dem »Der große Campino« steht.
    Es waren im Grunde mehr Happenings als Konzerte. Einmal zogen wir einen Müllsack aus dem Koffer und kippten zehntausend Plastikchips über die Leute. Neuntausendneunhundertneunundneunzig Chips sind blau, gaben wir bekannt, aber einer ist rot. Wer den roten findet, erhält den Hauptgewinn! Ein anderes Mal war die ganze Band in Müllsäcke gekleidet. Wir schmissen Gegenstände ins Publikum und gaben Punkkonzerte für Kinder, bei denen Leute ab achtzehn nur in Begleitung ihrer Kinder zugelassen waren. Wir stellten uns in einer Reihe auf, ließen uns von den Kindern mit Torten bewerfen und spielten mit ihnen »Reise nach Jerusalem« - sobald unser Punkstück abbrach, mußte sich jeder einen Stuhl ergattern. Chaos war angesagt, egal wie, und wenn wir auf die richtigen Leute trafen, wurde es ein toller Abend. Wenn aber niemand so weit ging wie wir - und das war jedes zweite Mal der Fall -, dann standen die Kids fassungslos und totenstill vor uns. Kaum eine andere Band hat seit der Einführung der E-Gitarre weniger Zugaben gegeben als wir. Warum? Ganz einfach: Weil sie niemand forderte!
    Wir waren die Anarcho-Kids der deutschen Punkszene, begründeten gleichzeitig ihre Junior-Liga und das, was man erst später unter »Fun-Punk« zu sortieren begann: Fabsis Mimmi’s, die Suurbiers und dann Die Arzte. Unsere britischen Helden waren weniger Joe Strummer oder Jimmy Pur-sey, sondern eherjohnny Moped und ein gewisser »Alberto Y Los Trios Paranoias«, zwei vorsätzliche Vollchaoten und Außenseiter. Es war ja die hohe Zeit des Apokalypso ä la Discharge und Exploited, mit harten Lederjacken, harter Gesinnung und düsteren Plattencover-Visagen, in der man weder über sich noch zu überhaupt irgendeinem Anlaß lachte. Während aber die Strummer und Pursey bald die großen Deals mit den Mega-Firmen einstielten, blieben wir im
    Grunde auf Gras Wurzelniveau. Nahmen unsere erste LP auf einem Vierspur-Toaster in einer Waschküche auf, lange bevor das ein Gütesiegel wurde, tourten zwischen Wolfratshausen und Kirchheim-Teck und übernachteten bei Leuten, die nachher oft nicht mehr unsere Freunde sein wollten.
    Konzerte zu geben war im wesentlichen ein Vergnügen am Wochenende, solange wir noch zur Schule gingen. Bis auf Fabsi hatten wir sonst alle Streß, etwa nach einem Gig in Süddeutschland morgens
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