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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
Autoren: Die Toten Hosen
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wieder bei der Lehre oder im Klassenzimmer zu sein - vor allem seit wir Kuddel, unseren Benjamin, nach einmaligem Vorspielen als Gitarristen verpflichtet hatten. Andi mußte ihn eines Nachts sogar mal siebenhundert Kilometer weit von Kirchweihdach ins Rethel-Gymnasium nach Düsseldorf zurückfahren, kurz bevor er die Schule dann sowieso geschmissen hat. Unterwegs checkten wir Kuddels Hausaufgaben und lernten Leute statt Hotelseifen kennen. In drei Jahren haben wir ein einziges Mal nicht privat übernachtet. Aber das war nicht immer einfach, denn es ist ein Unterschied, ob du den Leuten auf dem Konzert das Gefühl vermittelst, genauso ein durchschnittlicher Versager zu sein wie sie, oder ob du es dann auch beweist, indem du ihre Bude auseinandernimmst und im Bad die Garnitur vollkotzt.
    Rüde Zeiten, rüde Jungs. Ich spare es mir, Prügeleien buchhalterisch aufzulisten oder Abende, wo einer von uns mal ein Mädel kennengelernt und den Ball über die Linie gebracht hat, wie wir das nannten.Jeden Abend wird doch irgendwo geprügelt und gevögelt, daß es nur so wackelt.
    • Und dann sollen fünf Musiker ihre ranzigen Rock’n’Roll-Geschichtchen auftischen? Nein danke, davon hat die Welt genug. Es war auch nicht immer unbedingt toll, da oben auf der Bühne zu stehen, speziell nicht in dieser Phase, als das Rotzen groß in Mode kam. Ich sehe noch Kuddel vor mir, auf unserem ersten Gig in Berlin, als ihm diejungs aus dem SO 36 in Kreuzberg ihre dicken Gelben auf die schöne Gitarre setzten. Wir anderen haben lange gebraucht, ihm das Nach-Hause-Fahren auszureden. Wir sagten: »Wisch dein Instrument ab und mach morgen weiter, es wird gut werden!« Der Junge brauchte wirklich seine Zeit, um mit Punkrock klarzukommen. Aber diejungs im SO 36, die sich wild berotzten, hatten selbst alle einen guten Abend.
    Kuddel schmiß also irgendwann die Schule. Unsere Nachhilfestunden und nächtlichen Rücktransporte, alles war damit für die Katz. Meine eigene Zeit am Humboldt wurde aber besser. Ich wurde ganz ruhig, riß die Schule mit der nötigsten Konzentration einfach runter. Ich wußte, daß Mom und Dad mir wegen ZK Schwierigkeiten machen würden, wenn ich in der Penne abgerutscht wäre, und ich wußte auch immer, wann es wieder losging mit denjungs. So lebte ich insgesamt fröhlich-schizophren: Tagsüber war ich Schüler, nachts ein kleiner Rock’n’Roll-Held. Nach Frankfurt fahren, den wilden Willi machen mit den ganz Harten und dann wieder nach Mettmann zurück - das war Peterchens Mondfahrt zum Soundtrack von The Clash.
    Aber wenn man drei Jahre lang schon aus Programm immer witzig sein und Scheiße bauen muß, knackt das irgendwann die Substanz. Ich hatte am Ende einfach die Schnauze voll von dieser Nummer mit »Der große Campino« und dem blöden Koffer. Ich wollte überhaupt nicht mehr Sänger sein und vorne den Affen machen. Ich war fast nur noch besoffen auf der Bühne und fand manchmal das Set nicht mehr, selbst wenn es auf einem Bettuch gepinselt hinter der Bühne hing. In Würzburg sind wir dann eines Abends mit der ganzen Bühne eingekracht, dabei bin ich auch noch auf meine Trompete gelatscht. Sie war so furchtbar entstellt, daß ich einen
    Heulkrampf bekam. Aber im Grunde war mir klar: Das ist ein Zeichen von oben, laß es sein!
    Es war die Zeit, als plötzlich alle anfingen, wie wild Bläsersätze einzubauen: die Undertones,TheJam,Teardrop Explo-des, Dexy’s Midnight Runners, Fehlfarben, Family Five,ganz Großbritannien und halb Düsseldorf. Aber so erbärmlich wollte ich nicht enden. Ich wollte die »musikalischen Möglichkeiten« von ZK nicht erweitern, sondern endgültig begraben, einäschern, atomisieren. Dafür brauchten wir nur noch eine Abschiedstournee, die wir der Nachwelt im Herbst und Winter 1981/82 dann auch tatsächlich zum Geschenk machten. Die Live-LP »Leichen pflastern ihren Weg«, ein konsequenter Zusammenschnitt übelster Kassettenaufnahmen, dokumentiert die berauschende Atmosphäre dieser Abende.
    Es war im Grunde eine Tournee durch verschiedene Häuser der gleichen Familie. Hamburg, Hof, Bremen, Berlin - wo immer wir aufkreuzten, trafen wir nicht bloß Fans, sondern Freunde, die wir von irgendwoher kannten. Als Düsseldorfer Punks kannten wir die Hamburger Punks, die Berliner, und umgekehrt. Wir alle bildeten an diesen Abenden früher oder später ein großes, quietschendes Knäuel in einer riesigen Lache aus Musik und Bier. Es war die erste richtige Tournee unseres Lebens, und wir drehten
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