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Bis unter die Haut

Bis unter die Haut

Titel: Bis unter die Haut
Autoren: Julia Hoban
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geht die Straße entlang. Noch zwei Häuserblocks bis zum Park. Als sie die Bäume sieht, fühlt sie sich gleich besser.
    Aber nicht gut genug , denkt sie und klopft auf ihre Tasche. Niemals gut genug.
    Zu Fuß braucht sie ungefähr zwanzig Minuten bis zur Wohnung ihres Bruders. Der Wohnung, in der er mit seiner Frau Cathy und ihrem gemeinsamen Töchterchen lebt. Eigentlich ist es ganz okay dort. David, Cathy und Isabelle teilen sich das untere Stockwerk, und sie selbst wohnt in Davids ehemaligem Arbeitszimmer unterm Dach, das früher die Dienstbotenkammer gewesen ist. Es ist gar nicht so übel, wie es vielleicht klingt. Der Raum ist zwar ziemlich klein, aber er hat etwas Besonderes, als wäre er ein Zimmer aus einem Märchen oder einem Film, der in Paris spielt. Man hat einen wunderschönen Blick auf den Park, und Cathy hat sich viel Mühe gegeben, es hübsch herzurichten. Sie hat Gardinen aufgehängt und die Wände in einem zarten Apfelgrün gestrichen.
    »Gehst du Richtung Park?«
    Willow fährt erschrocken herum. Sie hat gar nicht gemerkt, dass Guy hinter ihr war. Ist er ihr gefolgt?
    »Ich geh immer hier lang«, sagt er, als er sie eingeholt hat und neben ihr herschlendert.
    Willow würde ihn gern fragen, was er über sie weiß, hat aber keine Ahnung, wie sie das Thema anschneiden soll. Sie würde ihn gern fragen, ob er sie vorhin angelogen oder ob er sie im ersten Moment wirklich nicht erkannt hat. Gut möglich, schließlich hat sie ihn auch nicht erkannt. Allerdings lebt sie in ihrer ganz eigenen Welt. Nichts und niemand hinterlässt zurzeit irgendeinen bleibenden Eindruck bei ihr. Aber als Neue an der Schule muss sie ja zwangsläufig auffallen, selbst wenn sie kein scharlachrotes M auf der Brust stehen hat.
    »Hey, Guy, warte!«, ruft ein großer, dunkelhaariger Typ von der anderen Straßenseite. Er kommt im Laufschritt auf sie zu, einen Stapel Bücher unterm Arm.
    »Adrian! Was machst du denn hier?« Guy bleibt stehen.
    »Ich hab mich gerade über ein paar Seminare informiert, die mich eventuell interessieren.« Adrian schaut zwischen Willow und Guy hin und her.
    »Oh sorry. Adrian – das ist Willow. Sie ist auf unserer Schule.«
    »Ach echt?« Adrian lächelt sie an. »Bist du neu? Ich hab dich noch nie gesehen.«
    »Ja, ich bin neu«, sagt Willow. Sie betrachtet ihn prüfend. Er scheint es ehrlich zu meinen, und sie fühlt sich ein bisschen besser. Vielleicht zieht sie ja doch nicht so viel Aufmerksamkeit auf sich, wie sie dachte.
    »Gib mir Bescheid, wenn du dich entschieden hast, ob du bei dem Programm mitmachen willst. Ich hab schon ein paar interessante Veranstaltungen rausgesucht.« Guy reicht ihm einen Zettel, der über und über mit Seminarnummern und Beschreibungen vollgekritzelt ist.
    »Hm, vielleicht sollte ich auch eines von diesen Seminaren belegen.« Adrian wirft einen Blick auf das Blatt. »Obwohl ich eigentlich nichts dagegen hätte, es im letzten Jahr an der Highschool ein bisschen lockerer angehen zu lassen.«
    Willow steht nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses. Sie unterdrückt ein erleichtertes Seufzen. Sie sollte jetzt gehen, solange die Gelegenheit günstig ist.
    »Tja, dann. Ich muss weiter.« Sie lächelt entschuldigend.
    »Oh, na klar. Ich meld mich dann später bei dir, Adrian.« Zu Willows Überraschung verabschiedet sich Guy von seinem Freund und schlendert mit ihr weiter. »Und wohin gehst du jetzt?«
    »Nach Hause.« Noch während sie die Worte ausspricht, wird ihr schmerzlich bewusst, wie falsch sie sind. Die Wohnung ihres Bruders ist jetzt vielleicht ihr Zuhause, aber so fühlt es sich nicht an.
    »Hast du Lust, irgendwo unterwegs noch einen Kaffee trinken zu gehen?«, fragt Guy.
    Nein.
    Sie will jetzt keinen Kaffee. Sie will allein sein. Trotzdem muss sie daran denken, dass alle ihre Freundinnen aus ihrem alten Leben hin und weg wären, wenn ein süßer Typ wie Guy sie auf einen Kaffee einladen würde. Sie fragt sich, wie sie reagiert hätte, wenn er sie vor einem Jahr gefragt hätte. Wäre sie geschmeichelt gewesen? Hätte ihr der Gedanke gefallen, mit ihm Kaffee trinken zu gehen? Hätte er ihr gefallen? Willow kneift die Augen zu, versucht sich so zu sehen, wie sie letzten Herbst gewesen ist. Natürlich hätte er ihr gefallen. Er ist süß und liest auch noch gern. Bloß schade, dass das Mädchen vom letzten Herbst nicht mehr existiert.
    »Und, was sagst du?« Er hängt sich seinen Rucksack von der rechten auf die linke Schulter und lächelt sie an. »Ein paar Straßen
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