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Bis unter die Haut

Bis unter die Haut

Titel: Bis unter die Haut
Autoren: Julia Hoban
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hektisch über die Arme.
    »Ist dir kalt?« Er zieht eine Augenbraue hoch.
    »Nein. Ich … Ich such dir jetzt mal dein Buch, okay?« Sie wirft noch einmal einen Blick auf die Signatur, dreht sich dann um und geht auf das entsprechende Regal zu.
    Sie findet das Buch problemlos, aber als sie es ihm gerade reichen will, fällt ihr Blick zufällig auf den Titel und sie erstarrt.
    »Alles in Ordnung?« Guy betrachtet sie mit zusammengezogenen Brauen.
    »Oh, äh, klar, ich hab nur …« Willow verstummt. Sie kann den Blick nicht von dem Buch lösen. Dabei hätte sie gar nicht so überrascht sein dürfen. Er hat schließlich etwas von Anthropologie gesagt und hierbei handelt es sich um einen Klassiker.
    »Kennst du das Buch? Ich meine, hast du Traurige Tropen schon mal gelesen?«, fragt er und nimmt es ihr aus der Hand.
    »Ja, sogar mehrmals«, antwortet Willow nach ein paar Sekunden. Sie schließt einen Moment lang die Augen und sieht die Bücherwand im Arbeitszimmer ihrer Eltern vor sich. Traurige Tropen , drittes Regalfach, zweites Buch von links.
    »Das gibt’s doch gar nicht!« Guy wirkt beeindruckt. »Du bist die Erste, die ich kennenlerne, die dieses Buch gelesen hat!« Er fängt an, darin zu blättern. »Ich wette, dass dir dein Bruder davon erzählt hat, stimmt’s? Ohne dieses Buch wäre ich niemals in seinem Seminar gelandet.«
    »Wie meinst du das?«
    »Als ich mir letztes Jahr überlegt hab, an diesem Programm teilzunehmen, bin ich ziellos durch die Stadt gelaufen und hab mir den Kopf darüber zerbrochen, welche Fächer ich belegen soll. Ich hab mir überlegt, dass Chemie oder Mathe wahrscheinlich am besten wär, weil sich das gut im Zeugnis machen und mir vielleicht dabei helfen würde, auf eine richtig gute Uni zu kommen. Jedenfalls hat es irgendwann angefangen zu regnen und ich hab mich in ein Antiquariat geflüchtet. Und dort ist mir das Buch hier buchstäblich in die Hände gefallen, als ich nach etwas anderem gesucht hab. Ich hab es aufgeschlagen und vier Stunden später war ich immer noch dort und hab gelesen. Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich unbedingt Anthropologie studieren muss.«
    »Echt?« Obwohl Willow es eigentlich gar nicht will, ist ihr Interesse geweckt. Genau wie ihm ist auch ihr noch nie jemand begegnet – zumindest niemand in ihrem Alter –, der das Buch gelesen hat, geschweige denn, so begeistert davon gewesen wäre.
    »Ja, echt.« Guy nickt. »Es ist wie eine Abenteuergeschichte, findest du nicht?«
    »Absolut!« Einen winzigen Moment lang vergisst sie, dass Traurige Tropen das Lieblingsbuch ihres Vaters war. Sie vergisst, dass sie an verregneten Sonntagnachmittagen auf der Fensterbank saß und sich durch alle seine Lieblingsbücher gelesen hat. Sie vergisst, dass sie gar keinen Vater mehr hat, sie vergisst sogar, unglücklich zu sein. »Es ist wirklich wie eine Abenteuergeschichte«, sagt sie. »Aber weißt du, was echt witzig ist? Erinnerst du dich noch daran, wie der Autor sich auf den ersten Seiten lang und breit darüber auslässt, dass er Abenteuergeschichten eigentlich nicht ausstehen kann?«
    »Klar erinnere ich mich.« Guy lacht. »Und dann schreibt er selbst eine. Verrückt.«
    Plötzlich geht das Licht aus, und sie stehen einen Moment lang im Dunkeln, bevor Guy wieder auf den Schalter drückt. Dann setzt er sich auf den Boden, als wäre das die natürlichste Sache der Welt, als würde er nichts lieber mit seiner Zeit anfangen, als sich mit ihr zu unterhalten.
    Willow weiß nicht genau, was sie tun soll. Es ist angenehm, sich mit ihm zu unterhalten, aber seine Berührung eben, die war überhaupt nicht angenehm. Sie versucht, in seinem Gesicht zu lesen. Er macht nicht den Eindruck, als hätte er etwas anderes als Bücher im Kopf.
    Schließlich setzt sie sich neben ihn.
    »Wofür brauchst du es?« Sie zeigt auf Traurige Tropen . »Was ist mit dem Exemplar passiert, das du im Antiquariat gekauft hast?« Eigentlich interessiert es sie nicht wirklich, was mit seinem Buch passiert ist, es ist eine ziemlich dämliche Frage, dämlich und langweilig, aber sie weiß nicht, was sie sonst sagen soll, und sie ist zu nervös, um einfach schweigend mit ihm dazusitzen.
    »Das hab ich in der U-Bahn liegen lassen.« Guy zuckt mit den Schultern. »Ich würde es mir gern neu kaufen, bin im Moment aber ein bisschen knapp bei Kasse. Weißt du, welches Antiquariat ich meine? Wahrscheinlich hat dein Bruder dich schon tausendmal mit dorthin geschleppt. Immer wenn ich da bin,
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