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Bis in alle Ewigkeit

Bis in alle Ewigkeit

Titel: Bis in alle Ewigkeit
Autoren: P Daschkowa
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zwei Klassen über ihr, und hatte früher in der Wohnung gegenüber gewohnt.
    Er war für sie längst mehr als ein Kindheitsfreund – eine Art Verwandter, ein jüngerer Bruder, obwohl er älter war als sie.
    Der dicke, trinkende, verwöhnte Nolik, bar jeder Männlichkeit, mit unregelmäßigem Einkommen und den ernsten Ambitionen eines gescheiterten Schauspielers.
    »Damit du es weißt, ich habe heute zur Feier deines Geburtstags alle Synchrontermine abgesagt. Ich bin extra früh aufgestanden und durch den Schneesturm zu dir gekommen, quer durch Moskau.«
    »Du hättest einfach anrufen können.«
    »Du nimmst ja nicht ab.«
    »Ach nein? Tatsächlich? Warum wohl?«
    »Hör mal, soll ich dir einen Arzt rufen?«
    »Haha, ich bin selber Ärztin.«
    »Gar nicht haha. Du bist keine Ärztin, du bist Biologin, du brauchst einen, wie heißt das? Für Hals-Nasen-Ohren.«
    »Scher dich zum Teufel. Feg lieber das Quecksilber unterm Bett auf, mach mir einen Tee, und dann geh in die Apotheke und kümmer dich mal einen Tag lang um mich wie eine Mutter.«
    Nolik war sofort bereit, brachte Sofja ins Zimmer ihres Vaters, bettete sie aufs Sofa, deckte sie zu und ging das Quecksilber auffegen.
    Die Aktentasche war merkwürdig leicht, als wäre sie fast leer. Sofja hatte sie auf den Schreibtisch gestellt und bemühte sich, nicht hinzusehen. Zu stark war die Versuchung, sie sofort zu öffnen.
    Vor kurzem war ihr Vater in Deutschland gewesen. Zwölf Tage. Er hatte gesagt, er wolle seinen ehemaligen Doktoranden Resnikow besuchen. Bei seiner Rückkehr war er nachdenklich und bedrückt gewesen, hatte kaum mit Sofja gesprochen. Und sich keinen Augenblick von seiner Aktentasche getrennt. Er hatte sie in Deutschland gekauft.
    »Lass sie mich mal ansehen«, hatte Sofja gebeten.
    Sie hatte eine Schwäche für Taschen. Die Aktentasche hattean der Seite Ringe für einen Schulterriemen. An ihr würde sich dieses elegante teure Ding sehr schick ausnehmen.
    Ihr Vater gab sie ihr nicht. Er wurde wütend und erklärte, sie würde bestimmt das Schloss kaputtmachen oder den Griff abreißen. Vermutlich legte er sich die Tasche nachts sogar unters Kopfkissen.
    Sofja versuchte ihn auszufragen, in welchen Städten er gewesen sei, was er dort getan und gesehen habe, wie es Resnikow ginge, doch der Vater hatte hartnäckig geschwiegen oder sie angeknurrt: Sie habe das Geschirr wieder nicht abgewaschen, sie laufe bei dieser Kälte ohne Kopfbedeckung herum, im Bad tropfe der Wasserhahn, das Sofa lasse sich nicht mehr aufklappen und sei so zum Schlafen zu schmal, der Drucker sei seit einem halben Jahr kaputt, und er könne keine Filme mehr schauen, weil das DVD-Laufwerk hinüber sei.
    »Das kannst du alles selber reparieren«, knurrte Sofja zurück, »du bist doch Ingenieur, Doktor der technischen Wissenschaften.«
    Sofjas Eltern hatten sich vor einem halben Jahr getrennt. Ohne Scheidung, formal waren sie noch verheiratet. Aber die Mutter lebte seit fünf Jahren in Australien, sie hatte ein langfristiges Stipendium an einer dortigen Universität bekommen. Und sie verheimlichte weder Sofja noch deren Vater, dass sie in Sydney einen engen Freund hatte, den Australier Roger, einen Witwer, älter als ihr Mann. Sofja hatte das Vergnügen gehabt, ihn kennenzulernen. Er war eigens dafür mit ihrer Mutter zusammen nach Moskau gekommen. Der krummbeinige Mann, der einen Kopf kleiner war als die Mutter und krause dunkle Haare in Nase und Ohren hatte, gab sich große Mühe, einen guten Eindruck auf Sofja zu machen, und zwinkerte ihr ständig zu. Später erklärte ihr die Mutter, der arme Roger habe vor Aufregung an einem nervösen Tick gelitten.
    Um an die Aktentasche heranzukommen, musste Sofja aufstehen und zwei Schritte bis zum Schreibtisch laufen. Die glänzenden runden Schlösser ließen sich natürlich nicht ohne weiteres öffnen. Aber sie wusste, wo die Schlüssel waren. Sie hatte sie im guten dunkelgrauen Anzug ihres Vaters gefunden, als sie ihn für die Beerdigung ankleidete. Der Ring mit den beiden kleinen Schlüsseln war mit einer Sicherheitsnadel ordentlich am Futter der Innentasche festgesteckt gewesen.
    »Ach ja, apropos Mutter«, sagte Nolik, der in einer alten Schürze mit Marienkäfern darauf in der Tür erschien. »Du hast hoffentlich nicht vergessen, dass Vera Alexejewna übermorgen kommt? Sie hat mich angerufen und mich gebeten, dich daran zu erinnern, dass du sie mit dem Auto abholen sollst. Sie macht sich große Sorgen, weil du nicht ans Telefon gehst. Ich
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