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Bis ich bei dir bin

Bis ich bei dir bin

Titel: Bis ich bei dir bin
Autoren: Emily Hainsworth
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ersten Begegnung; ihre Augen sind weit aufgerissen.
    »Mach’s gut, Cam«, sagt sie und greift durch die Leere nach meiner Hand.
    Wir liegen beide auf dem Bauch, das Kinn im Dreck. Ich berühre sie ein letztes Mal. »Mach’s gut.«
    Der elektrische Tunnel verengt sich, bis er mich zu erdrücken scheint wie ein einstürzender Stollen. Ich bekomme kaum noch Luft. Nina starrt mich angstvoll an. Er schrumpft mit mir darin – ich muss sofort hier raus.
    Ich lasse ihre Hand los und schiebe mich mit aller Kraft ans andere Ende, sodass ich trotz des frostigen Untergrunds ins Schwitzen gerate. Mit den Beinen voran rutsche ich in das heimatliche Gebüsch. Als ich den Kopf hebe, winkt Nina mir von der anderen Seite der Leere zu, die jetzt wie ein kleines grünes Guckloch wirkt. Ich winke zurück. Sie lächelt. Dann gleiten meine Finger aus dem Lichtfeld, und bevor ich wieder zu Atem komme, ist sie fort.

VIERUNDDREISSIG
    I ch befinde mich in diesem Zustand zwischen Schlafen und Wachen, in dem alles noch dunkel und friedlich ist, bevor meine Gedanken ihn erobern. Anfangs versuche ich, sie abzublocken und traum- und bewusstlos ins Vergessen zurückzusinken, aber dann mache ich doch die Augen auf und zucke zusammen, wie jemand, der länger unter der Erde war. Ich gebe mir große Mühe, die Tage nicht zu zählen, seit das grüne Licht verschwunden ist.
    Die durchs Fenster hereinströmende Sonne sagt mir, dass es schon spät ist, während mein Handy sagt, dass es Sonntag ist. Ich ziehe mir wieder die Decke über den Kopf.
    Meine Tür wird aufgerissen, und Mom platzt herein.
    »Ich habe dich für morgen bei Dr. Summers angemeldet. Das muss aufhören.«
    »Was?« Ich blinzele sie an.
    Sie fuchtelt aufgebracht mit den Armen. »Hör mal, ich weiß nicht, was in dieser Woche passiert ist. Du hattest dich so gut gemacht, ich dachte, du würdest langsam darüber hinwegkommen, was mit Viv passiert ist …«
    Wenn sie wüsste. Ich drehe mich mit dem Gesicht zur Wand.
    »Dein Termin ist um vier, Cam, und zwar morgen.« Sie zögert kurz. »Wenn dir das nicht passt, ruf deinen Dad an.«
    Dr. Summers faltet die Hände im Schoß.
    »Das hört sich an, als kämst du mit deinem Vater und der Schule wieder ziemlich gut zurecht. Vielleicht möchtest du die restliche Sitzung noch ein wenig über Viv sprechen?«
    Ich rutsche auf meinem Stuhl herum und sehe zur Uhr, aber es ist erst eine Viertelstunde vergangen, und mit allen harmlosen Themen bin ich schon durch. In Wahrheit brenne ich seit dem Wochenende darauf, mit ihr darüber zu sprechen, dass ich Viv noch einmal verloren habe, aber mir ist nichts eingefallen, wie ich das tun könnte, ohne geistesgestört zu klingen. Ich stemme die Ellbogen auf die Knie und reibe mir die Schläfen in dem Versuch, einen klaren Kopf zu bekommen. Körperlich habe ich Viv zwar hinter mir gelassen, doch sie drängt sich seitdem umso heftiger in mein Bewusstsein. Als wollte ein Teil von ihr immer noch nicht loslassen – oder ist es ein Teil von mir?
    »Es ist nicht so, dass ich nicht über sie reden möchte …«, beginne ich hochintelligent.
    Dr. Summers sagt nichts, außer »Ich höre dir zu« mit ihren Augen.
    Ich suche nach den richtigen Worten. »Ich bin mir nur nicht sicher, ob unsere Beziehung immer so war, wie ich sie gesehen habe.«
    »Inwiefern erscheint sie dir jetzt anders?«
    Ich starre zum Fenster hinaus. Genau das ist der Punkt, der mir zu schaffen macht, aber ich kann ja schlecht fragen, wie zwei Versionen derselben Person so verschieden sein können und dennoch – wie mir gerade klar wird – so vollkommen gleich. In beiden Welten war Viv überaus anhänglich, aber auch sehr liebevoll und treu. Außerdem daran gewöhnt, ihren Willen durchzusetzen. Mir nach meiner Verletzung einzureden, dass ich den Football nicht mehr brauche, war für sie einfach naheliegend. Eine einmalige Gelegenheit, mich ganz für sich zu haben, mir die Welt zu ersetzen. Damit, dass ich mich weigern könnte, rechnete sie überhaupt nicht. Es macht mich fertig, dass die beiden Versionen von ihr immer mehr wie dasselbe Mädchen erscheinen; ich werde jedoch nie erfahren, wie meine Viv reagiert hätte, wenn ich mich anders entschieden hätte.
    »Ich habe sie wirklich geliebt, und ich weiß, dass sie mich geliebt hat«, fahre ich fort, ohne aufzusehen. »Ich habe nur in letzter Zeit viel darüber nachgedacht, wie es zwischen uns war und wie es hätte sein können. Was natürlich blöd ist, weil ich jetzt ja nichts mehr ändern
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