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Bis einer stirbt

Bis einer stirbt

Titel: Bis einer stirbt
Autoren: Ravensburger
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als warteten sie auf die erlösende Nachricht, dass alles gar nicht wirklich passiert sei.
    »Hallo, Boss«, auch Adrians gedämpfte Stimme hallt dumpf von den Wänden wider. »Ich bin’s. Es ist was schiefgelaufen.«
    Noch immer hatte Nils Gröling mich nicht gesehen. Und noch immer latschte ich ihm hinterher, ohne mir darüber im Klaren zu sein, warum. Nils hatte den Kragen seiner Jacke hochgeschlagen und die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Ganz in sich versunken, schien er gar nicht wahrzunehmen, was um ihn herum vorging. Ich folgte ihm in sicherem Abstand.
    Nils ging seit Ewigkeiten in meine Parallelklasse. Jahrelang hatten wir nie mehr als ein paar Worte miteinander gewechselt, wenn überhaupt. Er sah nicht schlecht aus, aber ich fand ihn arrogant. Er trug Klamotten, von denen ich nur träumen konnte. Außerdem lief er immer mit einem Gesicht durch die Gegend, als sei jeder andere ihm schlicht zu blöd. In seiner Klasse war er, soviel ich mitkriegte, nicht unbeliebt, aber richtig gute Freunde hatte er nicht. Er war ein typischer Einzelgänger. Einer von der Sorte, die es freiwillig sind. Vor ungefähr einem halben Jahr aber war etwas total Peinliches passiert: Auf einer Schulparty hatten wir plötzlich angefangen, miteinander zu knutschen. Wahrscheinlich hatte es daran gelegen, dass wir beide nicht mehr ganz nüchtern gewesen waren. Am schlimmsten war, dass es mir sogar Spaß gemacht hatte. Allein dafür hätte ich mich ohrfeigen können. Am nächsten Tag wäre ich am liebsten gestorben. Er auch, mit Sicherheit. Um uns das gegenseitig klarzumachen, hatten wir seither nicht mehr miteinander geredet. Wir passten einfach nicht zusammen, das war sonnenklar.
    Jetzt aber trabte ich schon zehn Minuten hinter ihm her, als hätte ich sie nicht mehr alle. Dabei entfernten wir uns immer mehr von der Innenstadt, Richtung Meer. Die Straßenbeleuchtung wurde spärlicher. Nebel kam auf und wurde schnell dichter.
    Wir durchquerten eine Gegend, in der außer uns beiden um diese Zeit kein Mensch mehr auf der Straße war. Zum Glück trug ich Turnschuhe, sodass er meine Schritte nicht hören konnte.
    Ganz langsam verringerte ich den Abstand zu ihm, am Ende waren es noch ungefähr zehn Meter. Eigentlich musste er fast meinen Atem hören, aber er reagierte noch immer nicht.
    Er bog um die nächste Ecke. Ich hatte keine Ahnung, wo wir uns befanden. In diesem Viertel war ich noch nie zuvor gewesen. Die Straßennamen sagten mir nichts. Plötzlich war Nils wie vom Erdboden verschluckt.
    Völlig verwirrt blieb ich stehen und suchte mit den Augen beide Straßenseiten ab. Nichts. Totenstille. Kein Nils Gröling. Kein Schritt, kein Laut, kein Atmen, gar nichts. Nur mein Herz hämmerte bis zum Hals.
    Vorsichtig näherte ich mich dem nächsten Hauseingang. Falls Nils sich nicht in Luft aufgelöst hatte, was ich mir nicht vorstellen konnte, musste er eigentlich hier hineingeschlüpft sein. Um ganz sicherzugehen, tastete ich sogar die Ecken des stockdunklen Eingangs ab. Vielleicht hatte er mich doch gehört und sich versteckt. Aber nichts. Im nächsten Augenblick wäre ich vor Schreck fast gestorben: Zwei Hände legten sich von hinten auf meine Augen.
    »Was machst du denn hier?« Ich erkannte seine Stimme sofort.
    »Ostereier suchen.« Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst. »Was sonst?«
    »Ach so.« Nils lächelte kein bisschen.
    Ich spürte, wie ich knallrot wurde. Zum Glück war es dunkel genug, dass er es nicht sehen konnte.
    »Spinnst du eigentlich, mich dermaßen zu erschrecken?« Angriff ist die beste Verteidigung. Ich flitzte aus dem Eingang. Langsam kam Nils mir hinterher. Ganz in der Nähe tutete ein Schiffsnebelhorn. Es konnte nicht weit sein zum Wasser.
    »Ich dachte, du wolltest mich überfallen«, meinte er.
    Das sollte wohl witzig sein. Ich lief in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
    »Schwachmat«, zischte ich. Im nächsten Augenblick bereute ich es fast schon wieder. Als ich mich umdrehte, war Nils nicht mehr da. Ich ging zurück, aber der Nebel hatte ihn verschluckt. Außer dem Schiffshorn hörte ich nichts mehr.
    »Nils!«
    Es klang, als hätte ich in einen Watteballen gerufen. Es kam keine Antwort. Vor lauter Wut auf mich selbst hätte ich am liebsten losgeheult. So blöd wie ich musste man erst mal sein. Entmutigt machte ich mich auf den Rückweg.
    »Klara?« Die Stimme war nah und kam doch aus dem Nichts. Ich drehte mich nicht um.
    »Es ist ziemlich kalt, findest du nicht?«
    »Überhaupt nicht«,
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