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Bis einer stirbt

Bis einer stirbt

Titel: Bis einer stirbt
Autoren: Ravensburger
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gleich nachdem meine Verletzung im Krankenhaus notversorgt worden war, nach Hause gefahren, um die »Lage zu entschärfen«, wie sie wörtlich gesagt hatte. Und um meine Eltern ganz offiziell über Pits Straftaten in Kenntnis zu setzen. Die Rolle von Pit innerhalb der Bande war damals noch nicht ganz klar gewesen. Inzwischen aber stand fest, dass er tatsächlich ausschließlich an kleineren Diebstählen beteiligt gewesen war.
    Na, und schließlich hat sie die Situation mit meinem Vater gemeistert. Irgendwie hat sie es sogar hingekriegt, dass er nur einen ganz kurzen Tobsuchtsanfall bekam und am Ende sogar Reue zeigte. Meine arme Mutter weinte ohne Ende.
    »Sie hat noch sehr, sehr viele Tränen in sich«, hatte Marlena später zu mir gesagt. »Aber dass sie sie jetzt fließen lässt, ist ein guter Anfang.«
    »Jetzt klingst du wie eine Psychotante«, hatte Nils gegrinst.
    »Ich gebe es zu.« Marlena hatte die Hände gehoben. »Von so einer hab ich es auch.« Dann hatte sie gelacht.
    Wir waren beim Beratungszentrum angekommen. Meine Eltern warteten schon in der Eingangshalle. Das Gesicht meines Vaters war aschgrau. Aber auch an diesem Tag war er wenigstens nüchtern geblieben.
    Unter der Bedingung, dass er trocken blieb, hatte er von Onkel Herbert sogar einen Job in dessen Tankstelle bekommen, was seinem Selbstwertgefühl deutlich Auftrieb gegeben hatte. Toll fand ich, dass er nicht zu stolz war, diesen Job anzunehmen. Es schien, dass er wirklich etwas gecheckt hatte. Wie lange das so blieb, musste man sehen. Aber ich konnte hoffen. Schließlich hatte er auch eingewilligt, dass ich weiter zur Schule ging. Aber das hätte ich sowieso gemacht, egal wie. Mein Traum von einem anderen Leben war durch das, was ich erlebt hatte, eher noch stärker geworden.
    Natürlich würde auch Pit sich, wenn er wieder gesund war, dem Jugendrichter stellen müssen. Der Sozialarbeiter vom Jugendamt glaubte aber, dass er ganz gute Chancen auf eine milde Strafe hatte, weil er wirkliche Reue zeigte und außerdem bei keinem der ganz üblen Verbrechen dabei gewesen war. Er hatte sich in letzter Zeit wieder ein paarmal mit Benjamin getroffen, was ich ziemlich gut fand. Es schien bergauf zu gehen.
    Die Augen meiner Mutter sahen nicht mehr verweint aus wie zuletzt so oft. Schon jetzt hatte sie wieder etwas von ihrer alten Lebensfreude. Nils suchte im Gehen nach meiner Hand. Zuerst wollte ich ihm auf die Finger klopfen, aber dann dachte ich daran, wie wir uns auf der alten Werft geküsst hatten.
    Und plötzlich ging es mir richtig gut.

© privat
    Olaf Büttner arbeitet seit 25 Jahren mit verhaltensauffälligen und behinderten Kindern und Jugendlichen. Mit dem Schreiben begann er schon sehr früh und wurde für seine Kurzgeschichten und Romane für Erwachsene und Jugendliche mehrfach ausgezeichnet, u.a. 2005 mit dem DeLiA für den besten Liebesroman, sowie 2009 nominiert für den Hansjörg-Martin-Preis, der jährlich für den besten Jugendkrimi vergeben wird. 2000 absolvierte er eine Ausbildung zum Drehbuchautor an der Medienakademie Ludwigshafen. Er wohnt mit seiner Familie in einem kleinen Dorf an der Nordsee. Neben zahlreichen Lesungen bietet er für Schulen auch Workshops an.
    Mehr über den Autor auf www.olafbüttner.de und www.facebook.com/olafbuettner
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