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Bis einer stirbt

Bis einer stirbt

Titel: Bis einer stirbt
Autoren: Ravensburger
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etwas zu schnell vielleicht. Er sieht erschrocken aus.
    Der Boss tritt ganz dicht an ihn heran. »So? Und warum nicht, wenn man fragen darf?«
    »Er ist noch nicht so weit.«
    »Ist er nicht?«, fragt der Boss leise, fast verständnisvoll. In gleichem Ton fährt er fort: »Und woher weißt du kleines Arschloch, wann einer so weit ist?«
    Der andere zögert einen Moment. »Ich weiß es nicht«, sagt er schließlich resigniert.
    »Und wann ist einer so weit?«
    »Wenn du es sagst?«
    Der Boss klatscht hämisch Beifall. Dann wuschelt er seinem Gegenüber durch die Haare, wie man es bei einem Kind macht. Ein Schlag ins Gesicht wäre weniger erniedrigend gewesen.
    »Bingo!«, ruft er begeistert. »Du bist doch nicht so blöd, wie du aussiehst.« Er lacht und geht zum Ausgang. »Du kommst mit«, sagt er und zu dem Kleinen gewandt: »Du auch. Wir haben draußen ein paar Dinge zu klären.«
    »Und ich?«, fragt das Mädchen. Sie klingt enttäuscht.
    Kurz überlegt er. »Meinetwegen. Aber ein bisschen dalli. Ich hab meine Zeit nicht geklaut, Madame.«
    Als sie vor ihm geht, haut er ihr so fest auf den Hintern, dass sie ihn zuerst fast ohrfeigt, dann aber doch lieber lächelt. Es sich mit dem Boss zu verscherzen ist nicht gut.
    »Du hältst hier die Stellung«, befiehlt er Adrian. »In spätestens drei Stunden sind wir zurück.«
    Adrian fügt sich wortlos. Dass er zurückbleiben muss, ist eine pure Machtdemonstration. Der Boss spürt deutlich, dass es noch nie so wichtig war, allen klarzumachen, wer hier das Sagen hat.
    Nils wohnte mit seiner Mutter im vierten Stock eines noblen Hauses mit Meerblick.
    »Da haben die Reichen eine Zweitwohnung«, pflegte mein Vater neiderfüllt zu sagen, wenn von diesen Neubauten die Rede war.
    »Stimmt fast«, meinte Nils. »Aber eben nur fast.«
    Wir standen uns im Wohnzimmer gegenüber. Die Einrichtung war schlicht, aber ich schätzte mal, nicht gerade billig. Alle Möbel waren aus hellem Holz, Sessel und Sofa mit sandfarbenem, weichem Stoff bezogen, die Tapeten in hellem Terrakotta. Ich fühlte mich auf Anhieb wohl.
    »Wir haben tatsächlich noch ein Haus«, erklärte Nils. »Aber das wird gerade verkauft. Es macht zu viel Arbeit. Meine Mutter ist bei der Kripo. Da hat sie fast nie Zeit.«
    »Bei der Kripo?« Das war mir neu. »Und dein Vater, was macht der?«
    »Der lebt seit der Scheidung in Süddeutschland«, sagte er. »Setz dich doch. Willst du was trinken?«
    Tatsächlich war meine Zunge fast schon pelzig. »Wasser wäre nicht schlecht.«
    Ich setzte mich auf das riesige Sofa, das übersät war mit jeder Menge Kissen in verschiedenen Größen und unterschiedlichen Beigetönen.
    Nils kam mit einer Flasche und zwei Gläsern aus der Küche zurück. Er schenkte ein und setzte sich. Ich trank und spürte das Leben in mich zurückkehren.
    »Arbeitet sie jetzt noch?«, fragte ich. »Um diese Zeit?« Es war fast Mitternacht.
    »Ja. Aber sie müsste bald kommen.«
    Er stand auf und stellte eine CD an.
    »Ist das okay?«, fragte er. »Pink Floyd. 70er-Jahre. Meine Mutter hört so’n Zeug. Ich finde, es hat was.«
    Die Musik war mir egal. Irgendwas musste passieren. »Was machen wir hier eigentlich?«, fragte ich gereizt.
    Nils blieb gelassen. »Wir trinken Wasser und hören Musik.«
    Ich sprang auf. »Ich glaub, es ist besser, wenn ich jetzt wieder gehe. Danke für das Wasser.«
    »Dann bist du mir also nachgelaufen«, meinte Nils, »weil du so einen verdammten Durst hattest?«
    »Ich bin dir nicht nachgelaufen.«
    Auch Nils kam hoch und blieb vor mir stehen. Er war ungefähr einen halben Kopf größer als ich und reichlich schlaksig. »Soll ich mal raten, warum?«, fragte er.
    »Ich dachte, nur deine Mutter ist bei der Kripo.« Ich drehte mich zur Tür.
    »Du weißt nicht, wo du heute Nacht pennen sollst. – Stimmt’s?«
    Wie angewurzelt blieb ich stehen und drehte mich nicht um. Ich wollte nicht, dass er die Tränen sah, die mir ganz unvermittelt in die Augen geschossen waren. Ich verstand selbst nicht, was mit mir los war.
    »Wir haben kein Gästezimmer«, sagte Nils. »Aber wenn du willst, kannst du mein Bett haben. Ich schlafe auf dem Sofa.«
    »Was ist, wenn deine Mutter kommt?«
    »Die sieht das nicht so eng.«
    »Eine Polizistin?« Ich war erstaunt. »Sehen die nicht immer alles eng?«
    »Über so was kann man mit ihr reden.«
    Das Angebot hörte sich eigentlich nicht schlecht an.
    »Manchmal kommt sie auch erst im Morgengrauen«, meinte Nils. »Zurzeit ermittelt sie wegen der
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