Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis einer stirbt

Bis einer stirbt

Titel: Bis einer stirbt
Autoren: Ravensburger
Vom Netzwerk:
Tankstellenüberfälle. Du hast bestimmt davon gehört.«
    Na klar, hatte ich. Seit ein paar Wochen waren die Zeitungen voll davon. Und bei uns zu Hause waren sie allein schon wegen der Tankstelle vom lieben Onkel Herbert andauernd Thema. Vielleicht ist der ja auch mal dran, hatte mein Vater hämisch kommentiert.
    »Soviel ich weiß«, sagte Nils, »wird heute Nacht mit einem neuen Überfall gerechnet. Es passiert immer an Freitagen.«
    Danach saßen wir einfach nur auf dem riesigen Sofa und hörten weiter Pink Floyd. Eine reichlich absurde Situation, mitten in der Nacht mit Nils Gröling im Wohnzimmer seiner Mutter zu sitzen und psychedelische Musik zu hören. Aber damit nicht genug, gleich würde ich hier auch noch übernachten! Kein Mensch würde mir das glauben.
    Aber ich wusste eh nicht, wem ich es erzählen sollte. Selbst mit Pit redete ich in letzter Zeit kaum noch. Er lebte viel zu sehr in seiner eigenen Welt.
    Das war nicht immer so gewesen. Wenn ihm früher etwas passiert war, dann war das für mich fast so schlimm, als wäre es mir selbst geschehen. Wenn er etwas ausgefressen hatte, habe ich die Wellen für ihn geglättet. Einmal hab ich mich sogar für ihn geprügelt. Ein paar ältere Jungs hatten ihn in der Mangel. Ich bin dazwischen wie wild und hab die Typen in die Flucht geschlagen. Aber das lag lange zurück.
    Zwar hätte ich noch immer mein Leben für ihn gegeben, aber wir waren uns einfach nicht mehr nahe. Ich wusste fast nie, wo er war oder was er machte, und umgekehrt war es nicht anders.
    Zum Beispiel hatte ich überhaupt keine Ahnung, wer der Typ war, mit dem ich ihn vorhin getroffen hatte. Auch dieser blöde Kurzhaarputz, mit dem Pit seit Neustem durch die Gegend rannte, irritierte mich. Dabei war es keine politische Haltung, sondern er fand es einfach nur cool. Meine Meinung zu solchen Sachen interessierte ihn seit Neustem nicht mehr.
    Früher hatte ich seine Kumpels immer gekannt. Vor allem Benjamin, der seit Kindergartentagen sein bester Freund war. Aber selbst den ließ er seit einiger Zeit links liegen. Dabei war Benjamin echt in Ordnung und die beiden waren immer füreinander durchs Feuer gegangen. Aber jetzt lief da gar nichts mehr. Ich hatte Ben schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Und einmal, als ich ihm mit Pit begegnet war, hatten sie sich nicht mal gegrüßt.
    Mir fiel ein, dass ich mich bei meinem Bruder melden wollte. Vielleicht wartete er schon darauf? Sicher war er noch nicht zu Hause. Ich wählte sein Handy an, aber es war ausgeschaltet, was ziemlich ungewöhnlich war. Ich beschloss, es gleich morgen früh noch mal zu versuchen.
    Plötzlich merkte ich, dass Nils mich die ganze Zeit beobachtete. Fast hatte ich vergessen, wo ich war. Pink Floyd drehte gerade ziemlich auf, es hörte sich monströs an.
    »Willst du gar nicht wissen«, fragte ich und verstaute mein Handy, »warum ich nicht daheim schlafe?«
    »Sagst du es mir?« Er schenkte uns beiden neues Wasser ein.
    »Und wenn nicht?«
    Langsam drehte er die Flasche wieder zu. »Dann nicht. Wenn du es nicht erzählen willst und ich dich drängen würde, was würdest du dann wohl machen?«
    »Dir irgendeinen Quatsch erzählen.«
    Nils lehnte sich auf dem Sofa zurück. Er brauchte nichts mehr zu sagen.
    »Ich hab Zoff mit meinem Alten«, erzählte ich leise und korrigierte mich sofort: »Mit meinem Vater.« Ich hatte mir fest vorgenommen, niemals verächtlich von ihm zu sprechen. Ich wollte nicht irgendwann auf ihn herabsehen.
    Als etwas später das Telefon klingelte, hatte ich Nils gerade von meinem Vater und der Schulgeschichte erzählt. Seine Mutter war am Apparat. Nils kam kaum zu Wort. Sie hatte keine guten Nachrichten.
    »Es ist wieder ein Überfall verübt worden«, sagte er zu mir, nachdem er aufgelegt hatte. Aber das schien noch nicht alles zu sein.
    »Damit hat die Polizei doch gerechnet, oder?«
    »Ja.« Nils sah mich ernst an. »Aber nicht damit, dass es diesmal einen Toten gibt.«

4
    »Ich kann nicht schlafen.«
    Es war stockdunkel. Ich stand in der Wohnzimmertür. Dass Nils auf dem Sofa lag, wusste ich, aber ich konnte ihn nicht sehen. Kaum hatte ich im Bett gelegen, hatten die Gedanken in meinem Kopf eine regelrechte Achterbahnfahrt gestartet. Eine volle Stunde hatte ich mich von einer Seite auf die andere gewälzt. Deshalb hatte ich mir einen Ruck gegeben und war aufgestanden. Ich musste mit jemandem reden.
    »Ich krieg auch kein Auge zu«, sagte Nils.
    Er hatte mir ein Nachthemd seiner Mutter geliehen, das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher