Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis einer stirbt

Bis einer stirbt

Titel: Bis einer stirbt
Autoren: Ravensburger
Vom Netzwerk:
kleinsten Täter. In all diesen Punkten stimmen Video und Zeugenaussage überein.«
    »Nur ein Schlag?«
    Marlena nickte. Sie hielt die Tasse in der Hand, ohne daraus zu trinken, der Kaffee dampfte kaum noch. Dann stellte sie die Tasse ab. »Schädelbasisbruch. Der Mann war offenbar sofort tot.«
    »Also mehr ein Unfall als Absicht«, schaltete ich mich ins Gespräch ein. Eine Sekunde lang betrachteten mich beide wie einen Eindringling. Es war das erste Mal, dass ich sie als eine Einheit wahrnahm.
    »So kann man es natürlich auch sehen«, meinte Nils.
    »Klara hat schon Recht«, sagte Marlena. »Wahrscheinlich hatte der Täter nicht die Absicht zu töten.«
    »Absicht oder nicht«, meinte Nils. »Der Mann ist tot.«
    »Ja«, sagte Marlena, »für den Toten macht es keinen Unterschied. Anders ist das mit unseren Ermittlungen. Nach der Art der Gewaltbereitschaft können wir den potenziellen Täterkreis einengen. Die meisten solcher Täter kommen ja nicht zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt.«
    Sie lächelte und wandte sich an mich: »Manchmal glaube ich, er wird doch noch Polizist.«
    Nils passte diese Bemerkung offenbar nicht.
    »Das Einzige«, fuhr Marlena fort, »was ihn daran hindert, ein wirklich guter Detektiv zu sein, ist sein Gerechtigkeitssinn.«
    »Den man nicht haben darf?«, fragte ich unsicher.
    »Doch«, sagte Marlena. Sie stand auf, kippte den kalt gewordenen Kaffee in die Spüle und schenkte sich frischen ein. »Aber man muss in der Lage sein, ihn manchmal zu unterdrücken. Wer zu sehr von seinen Gefühlen beherrscht wird, kann nicht mehr klar denken. Übrigens nicht nur bei der Lösung von Kriminalfällen.« Ein Seitenblick traf ihren Sohn, dann sah sie wieder mich an: »Und wo wir grad beim Thema sind, Klara: Wie lange willst du von zu Hause wegbleiben?«
    Eine Attacke aus dem Hinterhalt. Völlig überrumpelt musste ich erst mal schlucken. »Äh … woher wissen Sie …«
    »Wir waren doch schon beim Du.«
    Ihr Lächeln brachte mich durcheinander. Marlena war freundlich und misstrauisch zugleich, eine brisante Mischung.
    »Aber zu deiner Frage, Klara: Das ist nun wirklich nicht schwer. Du bist, sagen wir, höchstens sechzehn. Du kannst also nicht einfach übernachten, wo es dir gerade einfällt. Und deinen Eltern ist das sicher auch nicht gleichgültig. Folglich solltest du dich mit ihnen absprechen.«
    »Und woher«, entgegnete ich, »willst du wissen, dass es so eine Absprache nicht gibt?«
    »Du gehörst nicht zu Nils’ Freunden, bisher jedenfalls nicht. Wenn du jetzt plötzlich hier übernachtest, muss es dafür einen besonderen Grund geben. Man übernachtet als Mädchen mit sechzehn nicht einfach bei einem Jungen, den man kaum kennt, und spricht das vorher nicht mit den Eltern ab. Nein, es ist klar, dass du von zu Hause abgehauen bist.«
    »Du unterforderst sie.« Nils schien gelangweilt. »Jeder Mensch ist für sie ein offenes Buch.«
    Marlena musste sichtbar schlucken. »Zurück zu meiner Frage, Klara. Wie lange hast du vor wegzubleiben?«
    Schließlich bot sie mir für fünf weitere Nächte ihre Wohnung an. »Danach muss aber in jedem Fall eine andere Lösung her«, sagte sie.
    Absolute Bedingung war allerdings, dass meine Eltern über meinen Aufenthaltsort Bescheid wussten.
    »Es ist mir egal«, erklärte Marlena, »ob du bei ihnen anrufst oder einfach vorbeigehst. Aber bis spätestens heute Abend müssen sie wissen, wo du bist. Dazu meinen Namen, Telefonnummer und Adresse. Du kommst mir nicht wieder hier herein ohne dein Ehrenwort, dass sie Bescheid wissen. – Alles klar?«
    Ihr Vorschlag setzte mich unter Druck, aber ich willigte ein. Erstens hatte sie Recht. Und zweitens keine andere Wahl. Unmöglich konnte sie mich heimlich bei sich wohnen lassen: Schließlich war sie bei der Kripo.
    Allerdings hatte ich keine Ahnung, wie ich die fünf Tage und Nächte nutzen sollte, um daheim auch nur eine halbwegs klare Situation zu schaffen. Nichts würde sich ändern, nur weil ich ein paarmal nicht brav in meinem Bettchen schlief. Was auch immer ich tun konnte, erschien mir sinnlos.
    Ansonsten war ich froh, dass Marlena mich nicht mit Fragen löcherte. Ich fand es schon großzügig, dass sie überhaupt einen Gedanken an mich und meine läppische Geschichte verschwendete. Eigene Probleme hatte sie wirklich genug.

5
    Um die Lage zu Hause ein bisschen abzuchecken, rief ich am späteren Morgen auf Pits Handy an. Diesmal nahm er ab. Seine Stimme klang leise, fast bedrückt.
    »Wo warst du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher