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Bis auf die Knochen

Bis auf die Knochen

Titel: Bis auf die Knochen
Autoren: Jefferson Bass
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Einbalsamierung vor dem Tod, ein Gedanke, den ich nicht besonders tr ö stlich fand.
    Sobald Miranda durch war, schloss ich das Tor hinter ihr und schob die Kette wieder durch das Loch. Das Vorh ä ngeschloss lie ß ich offen, damit Jess auch reinkam. Miranda war schon aus dem Wagen gestiegen. Jetzt klinkte sie den Aufbau auf der Ladefl ä che des Pick-ups und die Heckt ü r auf. Dabei drehte sie die Riegel langsam und ö ffnete die Ladefl ä che des Wagens fast behutsam, eine Geste, die mir an diesem friedlichen Morgen richtig und r ü cksichtsvoll erschien. Es war fr ü h; noch nahm die Fr ü hschicht des Krankenhauses den angrenzenden Parkplatz nicht in Beschlag, sodass das einzige Verkehrsger ä usch das ferne Dr ö hnen von Autos auf dem Alcoa Highway war, gut anderthalb Kilometer westlich des Krankenhauskomplexes. Tennessee erwachte gem ä chlich, und die fr ü he M ä rzluft war gerade so k ü hl, dass unser Atem in W ö lkchen aufstieg. Von einigen frischeren Leichen stieg feuchter Dunst auf – nicht vom Atem oder Restw ä rme, sondern von dem Gewimmel der Maden, die sich an ihnen g ü tlich taten. Aus irgendeinem Grund freute es mich, im Besitz des geheimnisvollen Wissens zu sein, dass die Nahrungsaufnahme f ü r die angeblich kaltbl ü tigen Maden ein exothermer Vorgang war – er produzierte W ä rme. In der Wissenschaft waren nur wenige Dinge so schwarz-wei ß , wie Begriffe wie » kaltbl ü tig « es implizierten, und im Vor ü bergehen ü berlegte ich, ob es wohl die chemischen Reaktionen im Verdauungstrakt der Insekten waren, die die Hitze produzierten, oder ob die Umwandlung von Kalorien in Brennstoff in ihren sich windenden Muskeln sie erw ä rmte. Vielleicht w ü rde ich das eines Tages untersuchen.
    Ü ber den unz ä hligen Maden schlugen allm ä hlich die Eichen und der Ahorn aus, die den H ü gel sprenkelten. In ihren Ä sten zwitscherte und trillerte ein ganzer Chor von Kardin ä len und Spottdrosseln. Zwei Eichh ö rnchen jagten sich den Stamm einer fast drei ß ig Meter hohen Weihrauch-Kiefer rauf und runter. Es gab Leben im Ü berfluss hier drau ß en auf der Body Farm. Solange man ü ber die mehr als hundert Leichen, die in verschiedenen Stadien der Verwesung ü berall herumlagen, hinwegsehen konnte.
    Miranda und ich standen ein Weilchen schweigend da und nahmen das Vogelgezwitscher und das goldene fr ü hmorgendliche Licht in uns auf. Eines der ü berm ü tigen Eichh ö rnchen regte sich ü ber das andere auf, weil es einige Spielregeln gebrochen hatte, und Miranda l ä chelte. Sie wandte sich mir zu, und ihr L ä cheln wurde breiter. Es ü berrumpelte mich und traf mich unvorbereitet mit der Wucht eines Kantholzes am Kopf.
    Miranda Lovelady war inzwischen seit vier Jahren meine Forschungsassistentin. Wir waren ein eingespieltes Team – wenn wir im Faulleichen-Séparée die Knochentr ü mmer eines t ö dlichen Verkehrsunfalls auf der Autobahn oder eines Mordopfers sortierten, wirkten unsere Bewegungen oft wie choreographiert, und unsere stillschweigende Kommunikation erinnerte fast an Telepathie. Doch in letzter Zeit machte ich mir Sorgen, ob ich bei ihr nicht eine unsichtbare Grenze ü berschritten und zugelassen hatte, dass sie zu anh ä nglich wurde. Vielleicht war ich auch zu anh ä nglich geworden. Obwohl sie genau genommen noch Studentin war, war Miranda keineswegs mehr ein Kind; sie war inzwischen eine kluge, selbstbewusste Frau von sechsundzwanzig – oder siebenundzwanzig? – Jahren, und ich wusste, dass der Elfenbeinturm zum Bersten voll war mit Professoren, die sich mit Sch ü tzlingen eingelassen hatten. Doch ich war drei ß ig Jahre ä lter als Miranda, und selbst wenn ihr dieser Altersunterschied im Augenblick annehmbar erschien, konnte ich mir nicht vorstellen, dass das immer so bleiben w ü rde. Nein, ermahnte ich mich, ich war ihr Mentor und vielleicht auch ein wenig ein Freund, aber nicht mehr. Und das war f ü r uns beide das Beste.
    Ich griff in den hinteren Teil des Wagens, holte ein Paar purpurrote Nitril-Handschuhe heraus und konzentrierte mich wieder auf das Experiment, das wir aufbauen wollten. » Jess – Dr. Carter – m ü sste jeden Moment hier sein «, sagte ich. » Suchen wir einen guten Baum und machen uns daran, den Kerl hier zu fesseln.«
    » Ah, Dr. Carter.« Miranda grinste. » Ich dachte mir doch, dass Sie ein bisschen nerv ö s sind. Sind Sie eingesch ü chtert oder verknallt? «
    Ich lachte. » Wahrscheinlich ein wenig von beidem «, sagte ich. »
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