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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Autoren: Vladimir Ulrich
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so sicher, weil ich ihn in meiner schwachen Verfassung und kleinl i chen Selbstsucht noch gar nicht bemerkte. Vielleicht hielt er das Geschäft unter uns für abgeschlossen und kümmerte sich nun lieber um andere, bedürftigere, die ihr Pilgerziel noch nicht erreichten. Da gab es viele, dessen war ich mir s i cher. Davon zeugten auch die Kreuze am Weg. Dann aber dachte ich an den Kiesel, mein zweites Gesicht, und hielt inne und wartete wie die anderen, bis die Verwalterin, eine noch junge, gutgenährte Frau, kam, um die sich zuspitzende Lage zu entwirren. Und sie kam, nahm Platz und fragte unbefangen, wer denn der Letzte gewesen sei. Sie meinte, das war zumindest für mich grammatisch faßbar, den Nächsten nach dem Letzten, der zuvor noch ein Bett bekam. Alle Piefkes zeigten Unisono mit dem Finger auf mich. Sie kennen sich in fremden Kulturen und Sprachen selten aus und meinen, sich bei der Obrigkeit anbiedern zu müssen. Wohl trauten sie mir zu, mich illegal vorzudrängen, und dem galt es vorzubeugen. Wegen des hohen Fiebers allein hätte ich es auch ohne Skrupel getan. Ich war bestimmt der Bedürftigste von allen hier. Die Frau beäugte mich einen Augenblick und eröffnete dann, sie habe noch ein Behindertenzimmer, das bis zwanzig Uhr zu reservieren sei, dann aber von mir und dem nach mir Näc h sten, was der Saarbrücker war, belegt werden könne. Es verschlug den Piefkes den Atem. Das meine ich wörtlich. So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten. [83] Man muß ja Gottes Wort nicht direkt anzweifeln, um dennoch überrascht zu sein, wenn es sich buchgetreu erfüllt. Ich aber wußte, daß es so war, weil der Herr immer präsent ist, und machte ich das Gesicht auch zum Kiesel, er ließ mich nicht zuschanden. Denn ich war mir wirklich nicht sicher, ob ich die Nacht draußen hätte überstehen können.
Olveirola, km 3031
    Nachdem mir der Saarbrücker also die Freundschaft gekündigt hatte, setzte ich nun den Weg in aller Frühe mit Rachel und einem Physikstudenten aus Ca m bridge fort. Rachel erzählte, wie sie in Miami Meeresbiologie studierte und dann die Doktorarbeit schmiß, weil ihr das Herumreisen in der Weltgeschichte wic h tiger wurde. Ich nehme an, daß der Vater, ein wohlhabender Apotheker, das Nachsehen hatte und alles finanzierte. Er hätte seine inzwischen zweiunddre i ßi g jährige Tochter bestimmt viel lieber längst unter der Haube gesehen, mochte sich doch ein anderer ihrer Launen und Kosten annehmen. Mir selbst war es recht unverständlich, warum diese hübsche, intelligente, mit anderen Worten to l le Frau bisher keinen gleichwertigen Mann fand, der sie hätte bändigen können. Es gab bestimmt ein Grund, so wie wir alle nicht grundlos ein Kreuz mit uns schleppen. Aber es stand mir nicht zu, nach so kurzer Bekanntschaft in Anw e senheit Dritter danach zu fragen. Aber wenn ich für sie bete, so wie ich für alle, die mich auf meinem Weg begleitet und mir Gutes erwiesen haben, häufig bete, so bitte ich den Herrn, sie möge auf dem Camino das gefunden haben, wofür sie wie ein moderner Ahasver , der ewige Jude, ruhelos durch alle Kontinente wa n dern mußte.
    Landschaftlich war der Weg mehr als interessant. Es galt Wälder und Wiesen auf schmalen, aufgeräumten Pfaden zu passieren, schroffe Hügelketten mit au f gepflanzten Windrädern standen wie Mauern ringsum, dahinter eine dramatische Wolkenkulisse. Es war kühl, windig und regnerisch, jedoch nicht ausgesprochen naß. In der Nacht muß der Gefrierpunkt erreicht worden sein, am Morgen gab es weiße Stellen im Herbstlaub. Weshalb die Herberge mit einer modernen Fußb o denheizung beheizt wurde. Dafür war ich sehr dankbar. Wegen des ständig dr o henden Regens hatte ich in der kurzen Hose zu marschieren. Die lange hätte sich ja gleich mit Wasser vollgesaugt, und ich hätte für den Abend nach dem Marsch keine Wechselkleidung mehr. Um die Kälte zu kaschieren, trug ich den Rege n poncho. Damit war ich bis zu den Knien vor Wind und Nässe einigermaßen g e schützt. Nach der gestrigen Krise fiel mir das Gehen immer noch ziemlich schwer. Jedenfalls konnte ich nicht auf die Dauer mit meinen gesunden, jungen Begleitern Schritt halten. Auch mußte ich wegen der verhältnismäßig langen Etappe von vierunddreißig Kilometern mit den Kräften wirtschaften. Ohne das kann man sich an einer kurzen anstrengenden Strecke so sehr vorausgeben, daß man den Rest nicht mehr schafft. Ich habe es in den Bergen häufig erlebt und plante daher
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