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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Autoren: Vladimir Ulrich
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priesen Schilder private Appartements an, fast wäre ich da schwach geworden. Doch marschierte ich immer weiter, bis ich im Stadtzentrum auf A n hieb die Herberge fand. Und dort das letzte freie Bett belegte. Es war eine große Herberge, ein ziemlich großes mehrstöckiges Haus. Das letzte vorhandene Bett zu bekommen, war somit ein echtes Kunststück. Zwei vor mir laufende Frauen kamen vor dem Eingang noch hart ins Schwatzen und vertaten ihre Chance. Vielleicht half der Herr wieder nach. Wie üblich, wenn Not am Mann war. Mich wunderte es nicht, ich sagte nur „Vergelt’s Gott!“ Es gab stets Widrigkeiten g e nug, und es war nur gut zu wissen, daß alles ein gutes Ende finden wird. Man durfte nur nicht kleinmütig werden. Kleinmut ist eine Sünde. Anscheinend eine läßliche, weil der Herr stets gütig blieb, wenn er mich dabei erwischte. Und es schien ihm immer Freude zu machen, mir das Gegenteil meiner erbärmlichen Befürchtungen zu beweisen. Deshalb bete ich: „Herr, vergib mir meine Klei n mut, gib mir Hoffnung und Zuversicht.“ Du fühlst dich sicher, weil noch Hof f nung ist; geborgen bist du, du kannst in Ruhe schlafen. [84]
    Das konnte ich nun in der Tat. Soweit es in einer spanischen Pilgerherberge eben möglich ist. Die Formel für eine solche heißt schließlich: Zu viele Betten auf zu wenige Toiletten auf kleinstem Raum, gewürzt mit Schnarchern und Wanzen. Aber das stand noch überhaupt nicht an. Was anstand, war der Weg zum Leuchtturm am Kap, bevor die Sonne untergeht. Der letzte Gang. Alles scharrte schon mit den Hufen in den Startlöchern, um das ultimative Ereignis, sprich den Sonnenuntergang, nicht zu versäumen. Ich ging mit Simon und noch jemanden. Die Straße dorthin, die bei meinem letzten Besuch in den siebziger Jahren noch eine staubige, steinige Piste war, hatte man inzwischen großzügig ausgebaut, und nun flitzten Autos hin und her an den eilenden, eifrig schwatze n den Pilgern vorbei. Dazwischen auch die aufgekratzte Dorfjugend auf Mofas und Motorrädern. Eigentlich herrschte überall eine aufgelegte, begierige Sti m mung, als ob wir alle zu einem Dorftanzabend unterwegs wären. Ganz im G e gensatz zum Einzug nach Compostela, wo alles ernst und gesammelt blieb. Fremde sprachen sich an, Lachen stieg auf und verstummte, alle marschierten frisch und munter gegen den Berg. Es müssen Hunderte gewesen sein. Alle in guter Form, wie es mir schien. Das Tempo war, der fortgeschrittenen Tageszeit entsprechend, deutlich über dem meinigen. Schließlich kamen die meisten von ihnen mit dem Bus aus Santiago her und waren gut ausgeruht. Aber ich hatte nichts mehr zu verlieren, es war das letzte Stück des langen Marsches, ich mußte mich nicht mehr schonen. So marschierte ich tüchtig mit und hielt die Klappe. Oben am Leuchtturm, dreihundert Meter über dem Meer, wußte ich den Grund. So weit das Auge reichte, breitete sich der Ozean aus, immer in Arbeit, immer in Bewegung. Ein Felsen vor der Küste stand dunkel, fast schwarz, im Silber der sich spiegelnden Wasserfläche. Die Sonne hing bereits tief über den Wässern, schleichend und unaufhaltsam fing alles zu glühen an. Zunächst war es nur ein dünner Streifen weit, weit weg dort am Ende des Wassers, der sich kaum mer k lich verbreitete, wuchs, schwoll, bis er zu einer steten Quelle wurde. Der sprichwörtliche Silberstreifen am Horizont. Da war die Sonne längst noch nicht untergegangen. Erst ließ sie sich durch einzelne zersauste Litze und Wolkenha u fen hinab. Wie ein riesiges, landendes Raumschiff, das die Gesetze der Physik sorgfältig zu beachten hat. Zwei Segelbote befuhren das Silbermeer, winzig, zerbrechlich, tapfer, die aufziehende Nacht nicht fürchtend. Wächter des Uh r werks. Ohne sie, ohne den trotzenden Felsen, um den das Wasser wild kochte, schäumte, brodelte, wäre das Bild nicht vollendet. Es war mein Bild, vom Herr gewährt, weil er mich kennt und weiß, was ich mag. Langsam, doch unaufhö r lich kroch das Feuer vom Horizont her über die sich wölbenden Wasser auf uns zu, die glühende Scheibe hing nur noch eine Daumenbreite darüber. Sie trug e i ne delikate Krone aus Wolkenschleiern. Alle hielten den Atem an. Es war still wie in einer Kirche, so still, wie es in der Kathedrale von Compostela nie sein wird, nie werden kann. Wer würde hier noch herumwandern wollen, wer hätte denn so Wichtiges mitzuteilen? Hier reichte der Herr seine ganze Macht und Herrlichkeit dar. „Seht, Menschen, da bin ich, der Schöpfer, das Maß,
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