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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Autoren: Vladimir Ulrich
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werden. Allein deswegen, da sie so viele seien. Die Wahl liegt irgendwo zwischen Aktivurlauber und abe r gläubigem Sonderkauz. Sogar die eigene Mutter macht sich Sorgen. Würde man mit dem Billigflieger, dem Auto in den Urlaub wollen, so gelte es wohl als Spaß und wohlverdiente Entspannung. So aber stinkt ihr die Sache irgendwie. Sie läßt sich es auch anmerken. Eine Mutter weiß schon, die Botschaft richtig einzure i ben. Wer sonst kennt den Sohn besser?
    Als ob man selbst keine Furcht hätte, als ob es so einfach wäre, für vier Monate alles stillzulegen. Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe. Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben. Steckt nicht Gold, Silber und Kupfermünzen in euren Gürtel. Nehmt keine Vorratstasche mit auf den Weg, kein zweites Hemd, keine Schuhe, keinen Wanderstab. [1] Ach, wirklich so simpel? Alles, was mit dem Glauben zu tun hat, ist wohl irgendwie problematisch. Man wird dem Herrn nie gerecht – zumindest nicht als Otto Normalverbraucher. Mann will nichts aufgeben, plant und macht sich Sorgen, nimmt freilich Geld, zweites Hemd und noch mehr mit und kann sich kaum vorstellen, wie es wäre, Kranke zu heilen und Dämonen zu vertreiben.
    Gewiß sollte ich auch solche treffen, die diese meine Pilgerschaft mit Staunen und Bewunderung bejahten. Anfangs aber war es nicht der Fall. Ein erklärte r maßen agnostischer Freund mochte mich überzeugen, nur den „wahren“ Cam i no, den spanischen Camino Francés , zu gehen. Alles andere sei überflüssig. Umgekehrt riet mir ein strenger Glaubensverkünder, mich vom Bischof von der selbstauferlegten Pflicht suspendieren zu lassen. Eine religiös engagierte Dame vom Lande, die selbst leidenschaftlich gerne nach Altötting pilgert, hielt die Angelegenheit für ein „persönliches Vergnügen“. Sie finde es unverschämt, e t wa nach Sponsoren zu suchen. So muß auch der Pfarrgemeinderat gedacht h a ben, als dem Pfarrer verbot, etwaige Spenden für mich anzunehmen. Tja, nach Santiago gehen zu wollen und dann auch noch nicht genug Bares zu haben, wo kämen wir da hin? Auch die schwitzenden Kollegen im Fitneßzentrum schütte l ten nur den Kopf: „Zu hart, wirklich, da laufe ich lieber den Marathon.“ Doch mein ansonsten eher zugeknöpfter Nachbar erklärte sich ohne Umstände bereit, den ganzen Sommer lang meine zwei Zimmerpflanzen zu gießen. Das war ein Anfang.
    Was kam denn damals, als ich nach der Notoperation im personell unterversor g ten slowenischen Krankenhaus nochmals stürzte und die Beinknochen über den Boden streute, über mich zu geloben, ausgerechnet von Regensburg nach San t iago de Compostela zu marschieren, wenn ich nur wieder gehen könnte? Ich hörte kaum einmal davon, und etwas lächerlich kam ich mir dabei ohnehin vor. Lange tröstete ich mich bequem mit der Gewißheit, zu einer solchen Reise ph y sisch nie fähig zu sein, auch suchte ich Ausflüchte in Zeit und Mitteln, als es mir schon wieder besser ging. Dazu mal fast überall Spott und Skepsis. Dann aber, ganz ohne Vorwarnung und über eine kurze Spanne von ein paar Wochen si c kerte es ein. Ich hätte gar nicht zu Hause bleiben können. Und später mal, wenn es mir unterwegs zu schwer fiel weiterzugehen, da blieb ich stehen, wartete e i nen Augenblick - und machte dann einen einzigen Schritt. Nur einen einzigen. Denn einen, mit dem ich über den Unfall, acht Jahre und sieben Operationen schritt. Den oft ersehnten Schritt, in dem der ganze Raum, die ganze Gnade liegt. Welche Wonne!
    Zum Aufsetzen des Fußes brauche man nur eine kleine Stelle, aber man müsse freien Raum vor den Füßen haben, schrieb der Chinese Chuang-tzu. Ähnliches steht in den Psalmen. Und diesen Raum wünschte ich mir am meisten herbei, als ich danieder lag, und ich bete noch immer: „Schenke meinen Füßen freien Raum!“ Und so, auch wenn mein erster Schritt etwas unsicher war, hatte der Herr mein Gebet erhört, und ich bin meinem Versprechen nicht untreu gebli e ben.

Deutschland, Österreich

Freising, km 88
    Von zu Hause stahl ich mich auf leisen Sohlen noch nicht wissend, ob ich nicht gleich wieder umkehren muß. Konnte ich überhaupt Tag für Tag mit Rucksack beladen gehen ohne zusammenzubrechen? Den feierlichen Abschied sparte ich mir für das Kloster auf, wo ich die letzten Jahre Zeit verbrachte. Nicht, daß man deswegen gleich ein Te Deum in der Kirche geblasen hätte. So weit würde man wohl
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