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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Autoren: Vladimir Ulrich
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haben, OB zu we r den. Alle klagen darüber, doch vergeblich. Er hört nur auf die Vernunft, nämlich sich selbst. Aber er lud mich dringend ein, und ich nahm die Einladung trotz Bedenken an, und wir saßen im staubigen Wohnzimmer, und der OB unterhielt sich agitiert mit einem mir unbekannten Mann. Ebenfalls anwesend war ein ju n ges, zierliches Mädchen. Fast noch ein Kind. Es stand auf, kam auf mich zu, und wir küßten uns leidenschaftlich, bis es vor Schwäche in die Knie brach. Ich faßte unter der Bluse nach dem Busen, spürte die warme, samtene Haut, die kleine, feste Wölbung in der Handfläche. Da wachte ich auf, den Kuß noch auf den Lippen. Was auch immer der OB so dringend von mir wollte, das war es wert.
    Am Morgen brachte mich Andrea in aller Hektik zu den Barmherzigen Schw e stern am Anger, wo ich mir den Pilgerstempel holte. Zu dieser Zeit sollte sie b e reits in Stuttgart in einer Akupunkturschulung sitzen. Streß drinnen im Wagen, Streß draußen auf der Straße. Überall Maschinen, Lärm und Eile. So konnte auch ich nicht umhin, als mit dem Zeigefinger im Kofferraum ihres schicken schwarzen BMW in ein heimtückisches Loch zu geraten. Dank einer raffinierten Federkappe bekam ich ihn auch nicht so schnell heraus. Dann klaffte darin eine tiefe, blutende Wunde. Noch war ich aus München nicht heraus, und schon sol l te ich Blut zollen? Ich war, wie die englische Königin stets zitiert wurde, „nicht amüsiert“. Andrea aber meinte, ich hätte die seltene Begabung, mit einem einz i gen Griff die Schwäche eines Produktes herauszufinden, und die Firma sollte mich dankbar als Tester anheuern. Was sie nicht wußte, ich habe mich dort ei n mal beworben, und wurde weitergeschickt. Es gebe bei den Bayerischen Mot o renwerken keine für mich geeignete Aufgabe, hieß es in der Ablehnung. Daher bin ich über Andreas kluge Bemerkung mit Würde hinweggegangen. Der Finger tat trotzdem teuflisch weh und heilte lange nicht. Die Falle war wahrscheinlich auch noch vergiftet.
    Andrea übersah geflissentlich den wunden Punkt und ermahnte mich, unterwegs nicht gleich mit anderen zu zanken. Ich versprach es und überließ sie den chin e sischen Nadeln. Ich wickelte den pochenden Finger ins Taschentuch und zog meines Weges die Isar hinauf. Große Maschinen wühlten den Flußkies um, wä h rend um mich herum hektische Münchner Männer in knalligen schwarz-rot-gelben Gummihosen und ausgestopften Hintern auf schicken Fahrrädern hin und her flitzten. Frauen in ähnlich lächerlichen Aufmachung schwenkten als schw ä cheres Geschlecht zur Trockenübung meist nur zwei Skistöcke. Wie gesagt, grüßen sie nicht und möchten auch nicht gegrüßt werden. Ich aber grüßte unb e irrt alle, bis plötzlich zu meiner Überraschung eine hübsche junge Frau stehe n blieb und vor Begeisterung fast zerfloß, daß ich den Camino bis nach Santiago gehe. Sie sei den Weg letztes Jahr mit dem Rad gefahren, wünschte sich aber, zu Fuß gegangen zu sein. Das bringe mehr. Ich hätte es meiner Überzeugungskraft hoch angerechnet, sie zu überreden, alles stehenzulassen und mit mir zu ko m men. Das wäre ein Ding. Ich glaube, sie dachte zumindest eine kleine Weile darüber nach, es doch zu tun. „Nächstes Jahr, bestimmt. Ich muß noch zur A r beit.“
    Von da an hielten mich plötzlich alle möglichen Leute an, die mich an Hut, Stab und baumelnder Jakobsmuschel als Pilger erkannten. Kein Spott, keine Skepsis, wie ich sie zuvor erfahren mußte. Wir sprachen über Gott und Leben, sie gingen gar ein Stück des Weges mit, wünschten mir Glück und Gelingen. Mein Une r fangen begeisterte, ja rührte sie, was mich wiederum verlegen machte. Solchen Menschenumgang war ich bis dahin nicht gewöhnt. Ich wohne in guten Verhäl t nissen, grüße die Nachbarn und versuche ihnen ein guter Genosse zu sein. De n noch habe ich nicht das Gefühl, daß sie mich groß vermissen würden. Me n schen, die einem Fremden am Wege spontan Herz und Seele öffnen, Sehnsucht bekennen, wo trifft man sie? Daß es nun auf regulärer Basis geschah, damit mußte ich erst fertig werden. Ich versprach, unterwegs für sie zu beten, und tat es wirklich. Zeit hatte ich genug und vermutlich nichts Besseres zu tun.
    Ich schritt tüchtig aus und freute mich an der Bewegung, der einmaligen Lan d schaft, dem seelischen Einklang. Die Natur streckte alle Ecken und Ranken der Sonne entgegen und pries die Schöpfung. Auf der Isar fuhren von Wolfratsha u sen her Flöße mit Touristen, die
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