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Binärcode

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Titel: Binärcode
Autoren: Christian Gude
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Falklandinseln unterhielt die ESA in den 70er-Jahren eine kleine Empfangsstation. Eine Aufnahme aus dem Jahr 1973 zeigte die Betriebsmannschaft des Außenpostens – ein einziger Mann – beim Füttern einer Gruppe von Pinguinen, und wenn Rünz nicht schon gesessen hätte, dann wären ihm spätestens in diesem Moment die Beine weggeknickt. Die massige Gestalt, das runde Gesicht mit dem fliehenden Kinn und die spitzbübische kleine Himmelfahrtsnase – er las die Bildunterschrift:

     
    Giuliano Rossi holding a staff meeting on the Falklands

     
    Etwas knarzte hinter ihm, er fuhr herum. Einige Meter von ihm entfernt sah er von hinten die hochgezogene Lehne eines ledernen Clubsessels, direkt vor einem Panoramafenster mit freiem Blick auf das Oberfeld. Es hatte aufgehört zu schneien, die weiße Decke reflektierte das Mondlicht und tauchte die nächtliche Landschaft in ein fahles Dämmerlicht.
    Aus dem Kopfteil des Sessels standen einige Faserbüschel der Polsterung senkrecht heraus wie eine erstarrte Rauchfahne, so als hätten ein paar Mäuse das Leder aufgebissen und die Wattierung für den Nestbau herausgezogen. Rünz starrte gebannt auf die Fasern. Sie bewegten sich leicht, aber er spürte keinerlei Luftzug im Raum.

     
    »’at sie …, ’at sie noch etwas gesagt ?«
    Der Haarschopf, der französische Akzent, Rünz brauchte einige Sekunden, bis er das Puzzle aus den Versatzstücken seiner Erinnerung zusammengelegt hatte. Er saß mit Charlis Vater in einem Raum.
    Gab es irgendjemanden, den er hier weniger erwartet hätte? Vielleicht den Papst. Er wurde unruhig, geriet in Rechtfertigungszwang, ohne dass der Alte ihm einen Vorwurf gemacht hatte. Hätte er ihren Tod irgendwie verhindern können? Er wusste nicht, was sie ihm erzählt hatten, suchte nach den passenden Worten, um dem Alten die Todesumstände seiner Tochter möglichst schonend beizubringen. Wie war die offizielle Formulierung, mit der das Militär Angehörige unterrichtete? Schnell und schmerzlos gefallen auf dem Feld der Ehre beim mutigen Einsatz für Gott und Vaterland.
    »Es ging zu schnell, die Kugel hat ihre Aorta zerrissen, sie hat sofort das Bewusst…« Rünz stockte. Er war nicht sicher, ob diese technischen Details dem Alten wirklich guttaten, außerdem entsprach es nicht ganz der Wahrheit.
    »Isch ’abe ihr gesagt, sie soll machen diese Programm«, murmelte der Alte. Rünz musste sich konzentrieren, um ihn zu verstehen.
    »Isch ’abe gesagt zu ihr, du musst ’aben pratique intérnationale .«
    »Wir, wir haben sie alle sehr gemocht im Präsidium. Es tut mir sehr leid für Sie .«
    Der Franzose machte keinerlei Anstalten aufzustehen, um das Gespräch von Angesicht zu Angesicht fortzuführen.
    »Sie sind ’ier, weil Sie wollen finden die Mörder von Charlotte, ’err Runz ?«
    »Na ja, eigentlich ist das nicht mehr meine Aufgabe, offiziell jedenfalls .«
    »Und Sie sind ’ier officielle oder nischt officielle … ?«
    Rünz schwieg.
    »Sie sind die letzte Mensch, die meine Tochter gese’en ’at vor ihre Tod. Und jetzt, Sie wollen finden ihre Mörder. Wer kann das besser verste’en als isch ?«
    Rünz’ Nase fing an zu laufen, da der Alte ihn nicht sah, wischte er sie einfach mit dem Ärmel seiner Jacke ab. Der festgebackene Schnee in den Profilsohlen seiner Stiefel schmolz langsam, um seine Füße herum bildete sich eine schmutzige Pfütze auf dem Parkett.
    »Warum sind Sie hier ?«
    »Isch wurde eingeladen. Von Frau Baumann und die Dirécteur Général von ESOC. Isch kam wie Sie, wollte finden die Mörder von meine Tochter. Aber jetzt isch bin nischt mehr so sischer …«
    »Sie sind nicht mehr sicher, ob Sie die Mörder …«

     
    »Er ist sich nicht mehr sicher, ob es nicht etwas viel Wichtigeres gibt .«
    Rünz fuhr herum, er hatte nichts gehört. Möglich, dass Summers seit den ersten Sekunden des Gespräches hinter ihm stand.
    »Zum Beispiel das Leben seiner 16 Enkel. Und deren Kinder und Enkel. Entschuldigen Sie meine Verspätung, Gerry Summers, ich bin Director of Operations and Infrastructure der European Space Agency hier in Darmstadt. Sie haben eine Verletzung an der Stirn, benötigen Sie einen Arzt ?«
    Rünz schüttelte den Kopf, Summers setzte sich zu ihm.
    »Ich hatte einige längere Telefonate, unter anderem mit Ihrem Vorgesetzten Hoven und einem ziemlich unsympathischen Richter des Bundesgerichtshofes. Die Herren waren nicht begeistert von meinem Vorschlag, Sie einzuweihen. Wir von der ESA waren in diesem Punkt
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