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Bin ich hier der Depp

Bin ich hier der Depp

Titel: Bin ich hier der Depp
Autoren: Martin Wehrle
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auffällt!«
    »Das klingt ja wie ein Vorwurf! Aber was kann ich dafür? Wir beachten alle Sicherheitsvorschriften.«
    »Sie müssen sich etwas einfallen lassen, um die Einbrecher besser abzuschrecken.«
    »Ich hatte Ihnen ja schon vorgeschlagen, einen Wachdienst anzuheuern.«
    »Zu teuer.«
    »Und eine bessere Alarmanlage?«
    »Das bringt nichts. Die waren ja immer schon weg, wenn die Polizei kam.«
    Dann rückte er mit der Sprache raus, womit er die Einbrecher abschrecken wollte: mit mir! Er bat mich, »gelegentlich« im Lager zu übernachten, vor allem von Freitag auf Samstag; er würde mir dort auch ein Bett und einen Fernseher aufstellen lassen.
    Mich überkam Panik. »Ich bin eine schmächtige Frau! Was soll ich allein gegen Einbrecher ausrichten?«
    »Die laufen davon, wenn sie jemanden im Lager brüllen hören. Und außerdem haben Sie ja eine Waffe bei sich.«
    »Ich soll eine Pistole …?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ihr Handy!«
    Aber hatte er nicht gerade noch gesagt, die Polizei komme immer zu spät?
    Mein Mann und ich hatten gerade gebaut, ich war auf mein Gehalt angewiesen. Der Chef bequatschte mich so lange, bis ich nachgab. An Freitagen bedeutete das: Statt um 21 Uhr nach Hause zu fahren, wie sonst, blieb ich in der Firma. Und am nächsten Morgen um 7 Uhr, wenn die Arbeit wieder losging, war ich schon da.
    Mein Mann war so besorgt um mich, dass er die meisten Nächte mit mir in der Filiale verbrachte. Das Lager war ein gruseliger Schlafplatz. Dauernd knisterte und knackte es. Wir schreckten hoch aus dem Schlaf wie Kinder aus Alpträumen, denn wir rechneten ja jede Sekunde mit einem Einbruch.
    Die Einbrecher sind nie mehr gekommen. Eingebrochen ist dafür meine Gesundheit. Nach acht Monaten war ich psychisch am Ende, weil mir jeder Abstand zur Arbeit abhandengekommen war. Auch unter der Woche hatte ich immer öfter in der Firma übernachtet, weil ich zu müde für den Heimweg gewesen war.
    Mein Arzt zog mich aus dem Verkehr und verschrieb mir eine Kur. Die Firma hat mir nicht mal einen Blumenstrauß geschickt.
    Sylvia Nester, Filialleiterin
    Ein Anruf am Nordkap
    Wenn in der Antike ein Sklave bestraft wurde, ließ man ihn auspeitschen, bis das Blut floss. Heute foltern Chefs ihre Mitarbeiter mit einem feineren Instrument: dem Vorwurf. Der schlimmste aller Vorwürfe lautet: »Sie machen Dienst nach Vorschrift!« Zwar könnte man meinen, Handeln »nach Vorschrift« sei etwas Korrektes, gar die Erfüllung eines Vertrages, aber so ist das nicht. Solche Mitarbeiter werden von Chefs gern als »Beamte« bezeichnet – womit nicht »treuer Diener des Firmenstaates«, sondern »elender Faulpelz« gemeint ist.
    Vielleicht heißen »Arbeitnehmer« so, weil sie Nehmer-Qualität brauchen: So wie gute Boxer viele Schläge einstecken und abfedern müssen, so soll der heutige Mitarbeiter immer neue Arbeitshiebe verkraften, ohne dabei k.o. zu gehen. Auf die Uhr darf er nur morgens schauen, um pünktlich im Büro zu sein – doch keinesfalls abends, um pünktlich zu gehen.
    »Pünktlich« kommt von »Punkt«. Der Punkt hinter der Arbeit, der sie beendet bis zum nächsten Morgen, bis nach dem Wochenende, bis nach dem Urlaub: Die Firmen wollen ihn ausradieren. 24 Stunden am Tag brodelt ihr Arbeits-Vulkan, er sprüht Aufträge, Nachfragen, Projekte. Und seine Lava wälzt sich gnadenlos ins Privatleben der Mitarbeiter, sie dringt durch alle Ritzen, verbrennt ihre Freizeit, verschmort ihre Hobbys, drängt ihre Familien ins Hinterland zurück.
    Selbst ein ruhender Arbeits-Vulkan ist kein beruhigender Anblick: Jederzeit kann er ausbrechen! Das kündigen die Seismographen der Mitarbeiter an, die stets mitzuführen sind: Laptop, Handy, Blackberry. Diese Statussymbole von einst zeugen nur noch vom Status der ständigen Verfügbarkeit: Stand-by. Jeder Arbeitnehmer ein Detektiv Rockford – Anruf genügt!
    Dass die Aschewolke des Arbeits-Vulkans sogar die Urlaubssonne verfinstern kann, musste Jan Becker erfahren, Produktmanager eines Unternehmens in Schleswig-Holstein. Er war mit seiner Frau und seiner fünfjährigen Tochter im Wohnmobil ans Nordkap gefahren, um Abstand zu gewinnen; in den letzten Monaten hatte er oft zwölf Stunden am Tag geschuftet. Sein Diensthandy hatte er zu Hause gelassen, den Laptop auch. Die Arbeit sollte ihn nicht einholen. Nicht hier, wo das Summen der Mücken wie eine süße Melodie der Ewigkeit durch die Mittsommernacht vibrierte. Nicht hier, wo die sprudelnden Flüsse seine Sorgen davonschwemmten,
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