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Bin ich hier der Depp

Bin ich hier der Depp

Titel: Bin ich hier der Depp
Autoren: Martin Wehrle
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Herr Fechner holt tief Luft und redet ihr ins Gewissen: »Schade, Frau Deile! Wenn Sie immer nur Dienst nach Vorschrift schieben, dann werden Sie es nie weit bringen! Und das ausgerechnet jetzt, wo ich mir überlege, Sie von der Zeitarbeitsfirma in eine Festanstellung zu übernehmen!«
    Diese Worte bringen die Erleuchtung: Das Gesicht von Frau Deile hellt sich auf. Im Ton einer Bekehrten trällert sie: »Das freut mich ja auch, Herr Fechner, aber ob es heute Abend schon geht? Ich werde es versuchen!«
    Mindestens vier Botschaften blieben beim Fernsehzuschauer hängen:
Der Wille einer Mitarbeiterin gilt nur so lange, bis der Chef etwas anderes will.
Das Listen von Damenwäsche ist wichtiger als die Erziehung von Kindern.
Überstunden sind die normalste Sache der Welt – wer sie verweigert, kann seine Karriere knicken.
Zeitarbeiterinnen müssen ihrem Chef die Füße küssen, wenn er nur das Wort »Festanstellung« in den Mund nimmt (und es womöglich am nächsten Morgen wieder vergessen hat).
    Erst wenn der Rubel der Firma rollt, die letzte Unterhose gelistet, der Mond aufgegangen und der Chef zufrieden ist – erst dann darf die Mutter nach Hause gehen. Und sich um Nebensächlichkeiten, sprich ihre Kinder, kümmern.
    Aber wie gelang diesem Raubtier-Kapitalismus, dieser billigen Überstunden-Propaganda der Sprung ins Fernsehprogramm? Die Initiative Soziale Marktwirtschaft hatte nachgeholfen – mit 58 670 Euro. [16] So viel Geld ließ es sich die Arbeitgeber-Initiative kosten, ihre ideologische Schleichwerbung in die Drehbücher zu schmuggeln, darunter auch Loblieder auf die Zeitarbeit. Das Ziel dieser Vorabend-Propaganda liegt auf der Hand: Die gesellschaftlichen Maßstäbe sollen verschoben und die Rechte der Arbeitnehmer ausgehöhlt werden.
    »Es gibt große Worte, die so leer sind, dass man ganze Völker darin gefangen halten kann«, schrieb der polnische Autor Stanislaw Jerzy Lec – das gilt auch für Völker zweibeiniger Arbeitsbienen! Hier kamen diese Worte nach dem Prinzip des Werbespots zum Einsatz. Am Anfang steht das Problem: Frau Deile ist trotzig und will die Überstunden verweigern – ein Berg schmutziger Wäsche, der gereinigt werden will. Und dann wird die Lösung präsentiert – hier kein Waschmittel, sondern eine Gehirnwäsche durch den Chef. Er manipuliert seine Mitarbeiterin, indem er ihr erst Angst einjagt und dann Hoffnung macht. Und diese Gehirnwäsche reinigt die Bedenken – typisch Werbung! – »weißer als weiß«; die Mitarbeiterin lehnt Überstunden nicht mehr ab, sondern verspricht: »Ich werde es versuchen!«
    Als die Schleichwerbung aufgeflogen war, gab sich die Arbeitgeber-Initiative nicht sonderlich zerknirscht: Die Themenauswahl sei »selbst bei kritischer Betrachtung ideologiefrei« gewesen und habe außerdem »auch dem Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks« entsprochen. [17] Wenn das stimmt, muss das Listen von Damenwäsche demnächst neben Goethes »Faust« in den Lehrplänen stehen – oder besser anstelle, damit niemand mehr nach des Pudels (oder der Schleichwerbung) Kern fragt!
    Nicht nur im Fernsehen, sondern auch im Alltag senden Chefdarsteller mit Vorliebe die Botschaft: Wer noch Arbeit hat, soll so froh darüber sein, dass er nicht auf die Uhr und erst recht nicht auf seine vertraglichen Rechte schaut. Als wäre es unanständig, Überstunden abzulehnen, und nicht, sie ohne Grundlage zu fordern.
    Pünktlich Feierabend machen heißt heutzutage: sich verdächtig machen! Im Mitarbeitergespräch sagt der Chef mit drohendem Unterton: »Mir fällt auf, dass Sie immer pünktlich Feierabend machen – warum eigentlich?« Eine vernünftige Antwort wäre: »Weil wir es exakt so im Vertrag vereinbart haben! Wenn die Firma will, dass ich jeden Tag zehn Stunden arbeite, und nicht acht, dann muss sie mit mir auch einen Vertrag über zehn Stunden abschließen. Und dann muss sie mir auch zehn Stunden bezahlen.«
    Warum hat Frau Deile eigentlich nicht so geantwortet? Weil die Mitarbeiter mal wieder die Deppen sind – und keine 58 670 Euro für Schleichwerbung in der Tasche haben!
    Hamsterrad-Regel: Im Laufe eines Arbeitstages werden Firmen immer großzügiger: Jene Pünktlichkeit, die sie beim Arbeitsstart noch fordern, wird Mitarbeitern zum Feierabend erlassen.
    Mit Helmut Kohl im Freizeitpark
    Helmut Kohl, der ewige Kanzler, hatte von der Arbeitsmoral seines Volkes keine hohe Meinung: Er bezeichnete Deutschland 1993 als kollektiven »Freizeitpark«. [18] Das klang,
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