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Bin ich hier der Depp

Bin ich hier der Depp

Titel: Bin ich hier der Depp
Autoren: Martin Wehrle
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wenn er lange genug in ihr klares Wasser schaute, und ihre Lebendigkeit auf ihn übertrugen.
    Doch dann zog die Vulkanwolke auf: Seine Frau nahm ein Handygespräch an, schaute wie bei einer Todesnachricht – und reichte den Anruf an ihn weiter. Es war sein Chef:
    »Entschuldigen Sie, Herr Becker – wir haben hier einen Notfall in der Firma.«
    Jan Becker holte tief Luft: »Woher, bitte schön, haben Sie die Nummer meiner Frau?«
    »Ich habe die letzten sechs Nummern in Ihrem Telefon-Display angewählt. Mit der letzten hatte ich Erfolg.«
    »Sie haben wahllos die Nummern durchgewählt?«
    »Ich wusste, dass Sie Ihr Handy nicht dabeihaben. Die Nummer Ihrer Frau kannte ich nicht. Was hätte ich tun sollen?«
    Jan Becker dachte: Zum Beispiel, meinen Urlaub respektieren! Doch er biss sich auf die Zunge und fragte, um welchen »Notfall« es sich handele.
    »Ein Kollege ist erkrankt. Sie müssen seine Präsentation übernehmen.«
    »Aber Sie erwarten doch nicht von mir, dass ich erst eine Woche ans Nordkap fahre – und dann eine Woche wieder zurück, ohne am Urlaubsziel zu bleiben!«
    »Nein, das sollen Sie nicht«, sagte der Chef.
    Jan Becker wollte schon durchatmen, da fügte sein Vorgesetzter hinzu: »Die Präsentation ist übermorgen – Sie müssen nach Hause fliegen. Natürlich auf Kosten der Firma.«
    Was juckt es die Firma, ob ein Mitarbeiter im Urlaub ist! Was juckt es sie, ob er seine Frau und seine Tochter alleine in einem Wohnmobil Tausende von Kilometern nach Hause fahren lassen muss! Völlig egal, ob die Freizeit des Mitarbeiters zerschlagen und seine Ehe gefährdet wird – Hauptsache, er steht Gewehr bei Fuß, sobald die Arbeit ruft.
    Am meisten ärgerte es Jan Becker, dass man die Präsentation locker um zehn Tage hätte verschieben können. »Aber das kann ich dem Kunden nicht zumuten«, erklärte der Chef. Nach außen, gegenüber dem Kunden, war er höchst feinfühlig. Aber wie sprang er mit seinem Mitarbeiter um? Wer auf der Gehaltsliste steht, ist der Depp.
    Eine Umfrage der Technischen Universität München ergab: Neun von zehn Führungskräften fühlen sich in ihrer Freizeit gestresst, weil sie ständig über ihr Smartphone erreichbar sind. 84 Prozent schalten das Gerät nicht einmal im Urlaub ab. [15] Unter Mitarbeitern dürfte die Quote ähnlich hoch sein.
    Dass der moderne Mensch sein Leben um die Arbeit baut, wie man einst die Dörfer um den Schlossberg baute, ist für Firmen selbstverständlich geworden. Ob ein Paar Kinder bekommt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Firma einen sicheren Arbeitsplatz bietet – oder nur wacklige Zeitarbeit. Ob ein Mensch am Ort seiner Wahl lebt, hängt davon ab, ob ihn sein Arbeitgeber dort leben lässt – oder ans andere Ende der Welt kommandiert. Und ob einer um 22 Uhr das Bett mit seiner Liebsten teilt oder das Büro mit den nervenden Kollegen, ob er zärtliche Küsse tauscht oder hässliche Mails, hängt davon ab, ob »Feierabend« in seiner Firma noch bekannt oder schon ein Fremdwort ist.
    Immer mehr Mitarbeiter begreifen: Anstelle der Arbeitskraft, die sie verkaufen wollten, haben die Firmen ihr ganzes Leben genommen. Ihnen geht auf, dass die Stechuhr nicht ihr Feind war, weil sie ein Unterschreiten der Arbeitszeit verhinderte, sondern auch ihr Freund, weil sie einem Überschreiten vorbeugte. Und sie durchschauen die modernen Medien als modernen Fluch: Der digitale Arm des Chefs kann sie überall greifen, ob im Schlafzimmer, auf dem Tennisplatz oder am Nordkap.
    Der Arbeits-Vulkan brodelt, zischt, stößt Asche aus. Das Privatleben wird immer unsichtbarer. Wir leben in Zeiten des abnehmenden Lichts.
    Hamsterrad-Regel: Im Urlaub darf der Mitarbeiter tun, was ihm wirklich am Herzen liegt: Seine Arbeit fortsetzen!
    Der Propaganda-Minister empfiehlt …
    Die Fernsehzuschauer wussten nicht, wer heimlich Regie führte, als ihnen die ARD -Vorabendserie »Marienhof« folgende Szene präsentierte: ein Disput zwischen dem Drogerie-Besitzer Thorsten Fechner und seiner Verkäuferin Jenny Deile. Der Chef fordert seine Mitarbeiterin auf, sie solle »heute Abend ein, zwei Stündchen dranhängen«, aus aktuellem Anlass: »Durch einen Konkurs ist mir ein sehr günstiger Posten Damenwäsche zugegangen, der sofort gelistet werden muss.«
    Die Verkäuferin wehrt ab: »Ein, zwei Stündchen! Herr Fechner, ich habe Kinder zu Hause!«
    Der Chef empfiehlt, Frau Deiles Freund solle früher nach Hause kommen und sich um die Kinder kümmern. Die Mitarbeiterin weist das zurück.
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