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Bin ich hier der Depp

Bin ich hier der Depp

Titel: Bin ich hier der Depp
Autoren: Martin Wehrle
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wenn zugleich immer mehr Planstellen ausradiert werden? Und wie sollen sie loyale Diener ihrer Firma sein, wenn diese Firma sich ihrer nur bedient, sie als Zeitarbeiter hinhält, als Überstunden-Sklaven ausbeutet, mit Hungerlöhnen abspeist?
    Arbeit ist heutzutage das, was niemals fertig wird. Schon gar nicht vor Feierabend. Fertig sind nur die Arbeitnehmer. Mit ihren Nerven.
    Hamsterrad-Regel: Die Firma verspricht viel, wenn der Tag lang ist, aber wahr macht sie nur eines: dass der Tag lang ist.
    Eine Schwalbe macht noch keinen Burn-out
    Firmen funktionieren in etwa so: Einer schafft Geld ran, man nennt ihn Mitarbeiter, und einer sackt Geld ein, man nennt ihn Unternehmer. Entsprechend begehrt sind Arbeitnehmer, sie werden als »Humankapital« gepriesen, als »Mitunternehmer« umschmeichelt, als »High Potentials« umworben. Im Krieg der Moderne wird nicht mehr um Lebensraum, sondern um die besten Mitarbeiter gekämpft (»War for Talents«).
    Dass die Betonung bei »Humankapital« nicht auf »human« liegt, wird spätestens deutlich, wenn ein Mitarbeiter erkrankt. Zwar bekommt man für den Herzinfarkt noch immer einen Tapferkeitsorden, sofern man ihn sich durch eifrigen Arbeitseinsatz verdient hat und den Laptop mit auf die Intensivstation nimmt. Aber Krankheiten, die den Geist betreffen, gelten als Geistererscheinung.
    »Burn-out« – dieses Wort hat unter Vorgesetzten eine ähnliche Bedeutung wie »Schwalbe« unter Fußballschiedsrichtern. Das stelle ich immer wieder im Austausch mit Managern fest. Neulich sprach mich nach einem Vortrag der Leiter eines Logistikunternehmens an und fragte, ob Überlastung durch Arbeit nicht doch die große Ausnahme sei.
    Ich fragte zurück: »Erzählen Sie mal von Ihrer Firma – gibt es dort Burn-out-Fälle?«
    »Wenn es einen gäbe, der unter der Arbeit zusammenbrechen müsste, dann doch ich! Aber Sie sehen ja: Es geht mir gut! Darum kann ich mir nicht vorstellen, dass sich in meiner Firma irgendjemand kaputtarbeitet.«
    »Niemand leistet Überstunden bei Ihnen?«
    »Ich kann den Leuten doch nicht vorschreiben, wann sie Feierabend machen! Wenn einer länger als acht Stunden arbeiten will, dann steht ihm das frei.«
    Ich versuchte es mit Ironie: »Kann es sein, dass auffällig viele Mitarbeiter ›wollen‹?«
    »Klar«, antwortete er ernst, »die Motivation ist hoch. Wer bei uns was werden will, der hängt sich rein.«
    »Und Ihnen kam wirklich noch kein Burn-out-Fall zu Ohren?«
    Er verzog sein Gesicht. »Natürlich gibt es Leute, die sich mit einem Burn-out krankschreiben lassen.«
    »Sie halten diese Mitarbeiter für Simulanten?«
    Seine Hände machten eine wegwerfende Bewegung. »Kann man nicht jedes psychische Wehwehchen zum Burn-out aufbauschen? Es gibt doch immer ein paar Schlauberger, die sich Urlaub auf Krankenschein gönnen. Der Burn-out ist ja noch nicht mal als Krankheit anerkannt.«
    »Die Ärzte nehmen ihn sehr ernst: Er läuft unter Depression. Und die geht manchmal tödlich aus!«
    »Na sehen Sie! Für psychische Probleme, die jemand mit sich selber hat, können Sie doch nicht mich als Chef verantwortlich machen.«
    Zweierlei ist typisch: Erstens wird die Schuld auf die Mitarbeiter verlagert. Wenn ein Mensch an der Arbeit zerbricht, hat das nicht mit der Arbeit zu tun, nur mit dem Menschen. Und zweitens stilisieren sich gestresste Chefs – gerade solche, die selbst kurz vorm Burn-out stehen – gern zum lebenden Burn-out-Gegenbeweis. Ganz nach dem Motto: Alles halb so schlimm, siehe mich!
    Die Führungskräfte halten es mit dem scharfzüngigen Kritiker Karl Kraus: »Eine der verbreitetsten Krankheiten ist die Diagnose.« Das befreit sie von der moralischen Pflicht, den Druck zu mindern und ihre Mitarbeiter zu schützen.
    Solche Gespräche führen dazu, dass ich Fakten auf den Tisch lege: Warum leisten die Deutschen so viele Arbeitsstunden wie seit 20 Jahren nicht mehr? [9] Warum antworten acht von zehn Mitarbeitern laut einer Bitkom-Umfrage auf dienstliche Mails sogar im Urlaub und in der Freizeit? [10] Und welche Erklärung gibt es dafür, dass sich die Zahl der psychischen Erkrankungen seit 1994 um 120 Prozent erhöht hat? [11] Wie der Wasserdampf einen Teekessel zum Pfeifen bringt, so treibt der Arbeitsdruck die Mitarbeiter über ihre natürliche Leistungsgrenze hinaus – und hinein in Krankheiten!
    Angesichts solcher Argumente zucken Unternehmer mit den Achseln und berufen sich auf eine höhere Macht. Woran liegt es, dass die Billiglöhne Deutschland
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