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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens
Autoren: Dörthe Binkert
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Marco.«
    »Aber die ist ja gleich hier um die Ecke«, rief die junge Frau. Sie deutete in eine Richtung. »In zehn Schritten sind Sie
     da!«
    Und so war es. Nika trat aus einer engen Gasse ans Licht und stand auf der Piazza San Marco.
     
    Es war leicht gewesen, das Haus zu finden. In der Calle Magazzin kannte jeder den Palazzo der Familie Damaskinos.
    Nika schlug mit dem Türklopfer gegen das Portal. Die Löwenpranke aus Messing war schwer, sie klopfte noch einmal, fester.
    Eine ältere Frau öffnete die Tür.
    »Guten Tag«, sagte Nika, »ich möchte Signore Damaskinos sprechen oder die Signora.«
    Die Frau fragte förmlich »Wen darf ich melden?«
    »Nika Damaskinos«, antwortete Nika kühn.
    Die Frau, deren Gesicht im Dunkel des Flurs nicht zu erkennen war, schwieg einen Moment. »Warten Sie hier«, antwortete sie
     dann mit einer Stimme, die so undurchdringlich war wie ihr Gesicht, »ich frage nach, ob jemand Sie empfangenkann.« Sie schloss das Portal, und man hörte, wie ihre Schritte sich entfernten.
    Nika stand in der Hitze des Nachmittags. Sie berührte das Medaillon an ihrem Hals. Dies war also das Haus ihrer Familie, dies
     die Stadt ihrer Herkunft, ihr Land.
    Die hohe, eisenbeschlagene Tür öffnete sich wieder. »Kommen Sie«, sagte die Frau, »ich führe Sie zum Hausherrn. Signore Damaskinos
     hat nicht viel Zeit und sagt, er hat noch nie von Ihnen gehört.« Die Dienerin, die gebeugt ging, führte Nika in den ersten
     Stock hinauf.
    Ein großer Saal tat sich vor ihr auf. Von der hohen Holzdecke hing ein prächtiger Kronleuchter aus milchigem Glas, Teppiche
     bedeckten den Marmorboden. Die Frau wies auf ein Sofa, das direkt neben dem Treppenaufgang an der Wand stand, dann verschwand
     sie durch eine der Türen, die von dem Saal in verschiedene Zimmer führten. Da saß Nika, eine Bittstellerin, eine Bettlerin
     im Haus ihrer Eltern und Großeltern. Kühle umfing sie.
    Ein alter Mann trat aus einer der Türen, kam näher und musterte Nika mit scharfem Blick. Sie stand auf, aber er hatte die
     Arme abwartend auf dem Rücken verschränkt und reichte ihr nicht die Hand.
    »Sie wünschen?«, fragte er eisig und trat einen Schritt zurück, als könne er sie so besser im Auge behalten.
    »Guten Tag«, sagte Nika, und als er den Gruß nicht erwiderte, fuhr sie fort: »Ich heiße Nika. Mit diesem Medaillon«, sie griff
     nach dem Medaillon, das sie um den Hals trug, »und einer Summe Geld bin ich vor zwanzig Jahren von einer jungen Frau und ihrer
     Begleiterin als Säugling ausgesetzt worden. An einer Poststation in den Bergen, in der Schweiz. Niemand hat mir sagen können,
     wer meine Mutter ist und welcher Familie ich angehöre. Aber der Graf Primoli hat dieses Medaillon erkannt.« Sie nahm allen
     Mut zusammen, blickte direkt indas unbewegte Gesicht des Mannes und sagte: »Deshalb bin ich hier. Ich heiße Nika Damaskinos.«
    Der Mann lachte laut auf. »Den Namen Damaskinos würden sich viele Leute gern zulegen. Er ist alt, ehrwürdig und riecht nach
     Geld.« Der Mann lachte wieder, aber sein Gesicht nahm dabei einen bedrohlichen Ausdruck an. »Meine Tochter ist tot, und sie
     hat nur zwei Söhne. Zeig mir das Medaillon!« Er machte eine Geste, die sie aufforderte, den Schmuck abzunehmen. Doch Nika
     hielt ihm nur die Kette mit dem Schmuckstück entgegen. Der Mann beugte sich vor, seine Mundwinkel zuckten. Nika schöpfte Hoffnung.
     Ja, er erkannte das Wappen, das war ganz sicher. Gleich würde sich der Spuk auflösen, und er würde sie freundlicher anschauen.
    Aber stattdessen griff er nach ihrer Kette, als wolle er sie ihr vom Hals reißen. Instinktiv wich Nika einen Schritt zurück.
    »Du kleine Diebin!«, rief der Mann. »Schau sich das einer an. Meine Tochter sagte mir damals, ihr sei das Medaillon auf der
     Reise gestohlen worden. Und jetzt willst du nach Jahren noch Profit aus dem Diebstahl schlagen, wer immer ihn damals begangen
     hat   …« Er griff nach der Klingel, um die Bediensteten herbeizurufen. Doch ehe er mit der anderen Hand Nika packen konnte, rannte
     sie die Treppe des Palazzo hinunter und hinaus. Sie bog in die Calle Moruzzi ein und verlor sich in der Menge.
     
    Bald hatte sie jede Orientierung verloren. Es war, als bewege sie sich nur noch im Kreis, als biege sie immer wieder, jedes
     Mal erschöpfter, auf immer denselben Campo ein. Nikas Gedanken verwirrten sich, und als ein kleiner Hund kläffend auf sie
     zusprang, erschrak sie zu Tode und begann zu zittern. Von Panik ergriffen,
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