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Big U

Big U

Titel: Big U
Autoren: Neal Stephenson
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seiner Zeit auf einer Etage mit Einzelzimmern für die Alten, die Verschrobenen und die Einfältigen verbringen würde, die einfach nicht mit anderen in einem Raum leben konnten.
    Um sein Zimmer zu finden, mußte er einem verwirrenden Pfad durch die unteren Etagen folgen, bis er die Fahrstühle zum D-Turm gefunden hatte. Da er das Risiko, sich zu verirren, nicht eingehen wollte, suchte er sich die nächste ebene Fläche, in diesem Fall den Deckel eines großen Abfalleimers. Er fegte ein paar Dorito-Tüten und einen halbvollen Karton original hausgemachtes Schokomilchgetränk mit künstlichem Geschmacksaroma von FarmSun herunter und drückte sie in den überquellenden Schlund des Eimers. Danach nahm er die zerknitterte und schweißfeuchte Karte des Plex (der Plexus) aus der Tasche und faltete sie aus der holzfarbenen Glasfaseroberfläche.
    Am unteren Rand des Plexus war vermerkt, daß der AM Grafik-Workshop für Fortgeschrittene die Karte entwickelt hatte. Sie präsentierten keine Karten von jeder Etage des Plex, sondern hatten eine Integrierte Projektion benutzt, die den gesamten Plex als Netz von bunten Wegen und Kreuzungen darstellte. Das Gewirr, das sich daraus ergab, war so dicht, und dennoch so nüchtern und karg, daß es praktisch überhaupt keinen Sinn ergab. Casimir freilich konnte es lesen, weil er nicht so wie wir war. Nachdem er sich des Problems mehrere Minuten mit seiner überragenden Intelligenz angenommen hatte, fand er den kürzesten Weg, folgte ihm sorgfältig und verirrte sich im Handumdrehen.
    Es war ein verzeihlicher Fehler. In den Fahrstühlen, die selbst mitten in der schwärzesten Nacht überfüllt waren, wimmelte es heute von katatonischen Eltern aus New Jersey, die Sitzkissen und riesige Plüschtiere umklammert hielten. Glücklicherweise (dachte er) befand sich neben jedem Fahrstuhl eine völlig unbenutzte Treppe.
    Casimir mußte wenig später feststellen, daß sämtliche Türen in den unteren Etagen des Plex automatisch von außen versperrt wurden.
    Ich selbst fand das ungefähr zur gleichen Zeit heraus.
    Anders als Casimir hielt ich mich schon seit zehn Tagen im Plex auf, die ich allerdings damit verbracht hatte, Notizen für meine Vorlesungen zu tippen. Es ist unklug, zwei Kurse in zehn Tagen vorzubereiten, und das wußte ich auch. Ich war aus den unterschiedlichsten Gründen erst in letzter Minute dazu gekommen, daher saß ich zehn Tage in meinen Radfahrershorts herum, trank Bier, tippte und schwitzte in der stickigen Luft des Plex wahre Sturzbäche. So kam es, daß ich meinen ersten Kontakt mit dem Plex und seinen Bewohnern tatsächlich erst an jenem Nachmittag hatte, als ich in die Fahrstuhlhalle hinausging und auf die Knöpfe drückte. Die verzweifelten, Tylenol-geladenen Scharen in den Fahrstühlen wichen keinen Millimeter, weil sie es nicht konnten. Sie sahen mich an, als wäre ich Godzillas Sohn, doch daran war ich gewöhnt, und ich sah sie an und fragte mich, wie sie so geworden waren, bis die Türen wieder zufielen. Ich entdeckte die Treppen, aber als ich unter das Erdgeschoß des Turms und in die tieferen Etagen kam, stellte ich ebenfalls fest, daß ich eingesperrt war.
    Fünfzehn Minuten folgte ich spärlich beleuchteten Treppen und Korridoren, die nach Graffitilösungsmittel und Flüssigwachs rochen und hielt mich hilflos an die Wege, die Studenten einschlagen würden, sollte der Plex jemals evakuiert werden müssen. Durch kleine Fenster in den verschlossenen Türen spähte ich aus dieser Twilight Zone in die verschiedenen Zonen des Plex – Mensa, Aula, Turnhallen, Büros –, hatte aber keine andere Wahl, als mich stets an die Flure zu halten, obwohl ich wußte, daß sie mich in das Getto draußen führen würden. Schließlich kam ich um eine Ecke und sah die Mauer im lärmenden Grau des Außenlichts glänzen. Am Ende des Weges schwang eine Metalltür mit folgender Aufschrift sanft in der Brise:
    NOTAUSGANG.
    WARNUNG – BEI UNBEFUGTER BENUTZUNG
    ERTÖNT EIN ALARM.
     
    Ich ging zu der Tür hinaus und schaute einen langen, steilen Hang hinab in den Canyon der Mautstraße.
    Die Campusstruktur der Amerikanischen Megaversität umfaßte drei Blocks auf einer Seite und lag eingepfercht zwischen der Megalopolis-Mautstraße im Nor-den und dem Ronald-Reagan-Parkway im Süden. Das Megaversitätsstadion, das einzige Gebäude des Campus, das nicht unmittelbar auf dem Gelände des Plex lag, befand sich im Westen, und im Osten ein komplexes, mehrgeschossiges Kleeblatt, das die
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