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Big U

Big U

Titel: Big U
Autoren: Neal Stephenson
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die Kaaba, den isolierten Koaxialkabeln, die quer durch das Zimmer zu den sechs Lautsprechern verliefen, die dem ganzen Raum das Aussehen eines riesigen Schall-Brutbottichs verliehen. Klein verstand auch ein bißchen was von Stereoanlagen und besaß eine Anlage, die Bach etwa so gut wiedergeben konnte wie das Kammerorchester der Amerikanischen Megaversität, und es ärgerte ihn maßlos.
    Als erstes einmal wegen der Musik. Die war schlimm genug, aber Klein hatte es seit seinem ersten Jahr an der High School mit musikalischen Analphabeten zu tun und konnte sich auf dieselbe Weise dagegen wappnen, die verhinderte, daß er aufsprang und zurückbrüllte, wenn Werbespots im Fernsehen liefen. Was ihm echt zusetzte, das war der »Go Big Red«-Ventilator. »Okay, okay, setzen wir einfach einmal als gegeben voraus, daß deine Musik wert ist, gespielt zu werden. Wenn wir das voraussetzen, warum gibst du dann sechstausend Dollar für eine perfekte Anlage ohne Nebengeräusche aus, um sie dann, dann, mit einem lautstarken Ventilator zu kühlen, der bei einem Feuerwehrflohmarkt keine sechs Piepen bringen würde?« Fenrick schenkte ihm nach wie vor keine Beachtung. »Ich meine, manchmal verblüffst du mich wirklich. Du bist kein bißchen denkfähig, was? Ich meine, wenn man es genau betrachtet, bist du nicht mal ein vernunftbegabtes Wesen.«
    Wenn Klein so etwas sagte (den Satz oben hörte ich eines Nachts auf dem Weg zur Toilette), schaute Fen-rick von seinem Wiso-Lehrbuch auf und blinzelte über die Wand der bunten, gestohlenen Plattenladenregale, die er entlang der Mittellinie des Zimmers aufgestellt hatte; weil seine Brille die lange, schmale Nase hinuntergerutscht war, rümpfte sie und schob die Brille so auf die gewünschte Höhe, ein Vorgang, bei dem er unwillkürlich seine Eckzähne entblößte und das drahtige, steife Haar auf seinem Kopf in Bewegung versetzte, als würde es von einer Schar hektischer Ratten bewohnt.
    »Du verstehst die wahre Bedeutung gar nicht«, sagte er dann. »Du hast kein Monopol auf Bedeutung. Ich erfahre die Bedeutung nicht aus meinen Büchern. Meine Bedeutung bedeutet, was sie mir bedeutet.« Das sagte er, oder etwas genauso Verdrehtes, und beobachtete Kleins Reaktion. Als er das aber ein paarmal gemacht hatte, kam Klein dahinter, daß sein Zimmergenosse lediglich versuchte, ihn durch und durch irre zu machen – sozusagen sein Gehirn ausflippen zu lassen –, und daher ließ er es dabei bewenden und gab Fenrick keine Chance, sein abscheuliches Lachen ertönen und den gesamten Flügel wissen zu lassen, daß er wieder einmal einen Treffer gelandet hatte.
    Außerdem ärgerte Klein die Tatsache, daß Fenrick haufenweise mit Petersilie gestrecktes Dope rauchte, wenn er seine schlechte Musik hörte, und dabei vergaß, den »Go Big Red«-Ventilator im Auge zu behalten. Klein saß mit dicken Büscheln Watte in den Ohren mit dem Rücken zu der Stereoanlage, spürte plötzlich, wie der Ventilator gegen die Rückenlehne seines Stuhls tschunkte, und wenn er dann hysterisch erschrocken zusammenzuckte, stand der Ventilator nur da, drehte sich munter knirschend weiter und übertrug sein Tschunka-tschunka-tschunk wie gedämpftes Gelächter in Kleins Becken.
    Wenn nicht eindeutig geklärt war, wer von beiden die Lufthoheit besaß, führten sie einen Schall-Krieg.
    Die Vorlesungen endeten für beide um 15:30 Uhr. Beide rannten zwanzig Minuten durch die labyrinthartigen Flure des Monoplex, hämmerten vergebens auf Fahrstuhlknöpfe und sprangen drei Stufen auf einmal Treppen hinauf, da sie bei der Vorstellung, mindestens bis Mitternacht die Musik des anderen anhören zu müssen, in Panik gerieten. Nicht selten kam es vor, daß einer auf E07S aus der Fahrstuhltür stürmte, um die Biegung des Korridors schlitterte und voll Abscheu die Melodie des anderen siegreich-triumphierend durch den Boden vibrieren spürte. Manchmal indessen trafen sie zusammen ein und fuhren ihre Anlagen gleichzeitig hoch. Als sie dies das erste Mal versuchten, etwa Mitte September, flog die Sicherung des Zimmers raus. Sie saßen eine halbe Stunde schweigend in der Dunkelheit, weil jeder wußte, wenn er seine Stereoanlage verließ, um den Strom wieder einzuschalten, würde sich der andere schon die volle Dröhnung geben, bis er zurückkehrte. Das Patt wurde durch eine Feueralarmübung für beide Türme beendet, durch die sie ihre Zimmer drei Stunden lang nicht betreten konnten.
    Im Anschluß verlegte John Wesley Fenrick ein fünfzehn Meter
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