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Big U

Big U

Titel: Big U
Autoren: Neal Stephenson
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U damit, zu beobachten und zu reden, ohne etwas Nennenswertes zu tun, daher trage ich vielleicht einen Teil der Schuld.
    Dies ist insofern eine Geschichte, als sie versucht, das Geschehene zu schildern und mögliche Erklärungen zu präsentieren. Ein Werk der Phantasie ist es insofern, als ich hoffe, mir die Big U von der Seele zu schreiben und mit ihr meine ganze Verbitterung und Verachtung. Vielleicht habe ich ein paar Tatsachen etwas verdreht. Aber ich fungierte fast bis zum Schluß als Zeuge, und ich kannte so viele der Hauptakteure, daß ich in Erfahrung bringen konnte, was ich nicht selbst erlebt hatte, und deshalb ist der künstlerische Anteil nicht so groß, daß es irrelevant würde. Was Sie nun lesen werden, ist keine Anomalie: Es könnte auch in Ihrer Universität passieren. Die Big U war den anderen einfach ein paar Jahre voraus.
     
    ERSTES SEMESTER
     
    SEPTEMBER
     
    Am ersten Tag des Semesters standen Sarah Jane Johnson und Casimir Radon eine Weile gemeinsam in der Schlange. Zu dem Zeitpunkt kannten sie sich noch nicht. Sarah hatte gerade herausgefunden, daß sie keine Unterkunft hatte, und litt unter dem Gefühl von Anspannung und Einsamkeit, das einen überkommt, wenn man keinen Ort hat, wo man sich verkriechen kann. Casimir stellte gerade fest, daß die Amerikanische Megaversität ein gräßlicher Ort war, und war ebenfalls nicht glücklich.
    Als sie sich den Flur hinab ins Büro des Dekans der Natur-und Geisteswissenschaften vorgearbeitet hatten, setzten sie sich nebeneinander auf die harten Plastikstühle unter dem Julian Didius III Gedächtnisfenster. Das Sonnenlicht schien grau über ihre Schultern; hin und wieder drehten sie sich um und betrachteten die Szenerie draußen.
    Unter ihnen hatte ein Mietlastwagen aus Maryland versucht, auf einer der Abfahrten vom Parkgelände unter einer niedrigen Brücke durchzufahren, und der Fahrer hatte offenbar vergessen, daß er in einem Lastwagen saß, und nicht in seinem Trans-Am. Beim Aufprall hatte sich die Stahlverstrebung, die das Oberteil des Lastwagens mit den Seiten verband, um den Rahmen eines grünen, an der Brücke befestigten Straßenschilds gewickelt. Nun hing das Schild, auf dem stand:
    AMERIKANISCHE MEGAVERSITÄT
    BESUCHERPARKPLÄTZE
    SPORTVERANSTALTUNGEN
    AUSFAHRT 150 M.
     
    am Ende eines langen Streifen Lastwagens, der in die Höhe und zur Seite geschält worden war, frei in der Luft.
    Eine kleine Schar von Studenten, die ihr Schlangestehen offenbar hinter sich hatten, standen auf der Brücke und neben der Ausfahrtrampe und warfen Frisbees und Abfall durch die aufgerissene Stelle ins Innere des Lastwagens, wo die Insassen auf Sofas und Liegen herumlungerten, Bier tranken und die Wurfgeschosse zurückwarfen. Sarah hielt es für idiotisch, und Casimir konnte es überhaupt nicht verstehen.
    Draußen auf dem Flur wurden die Leute in der Schlange von einem alten Penner beschimpft, dem es gelungen war, das Sicherheitssystem des Plex zu überwinden. »Ihr Kids verdient keinen Schein, sondern einen Scheiß!« rief er, fuchtelte mit den Armen und schwankte auf der Stelle. Er trug ein fadenscheiniges Tweedjackett, dessen Ellbogenflicken wie verkümmerte Flügel flatterten, und trank abwechselnd aus einer Flasche Happy’s Wodka und einer Halbliterdose Schlitz, die er in den Taschen geholstert hatte. Die Aufmerksamkeit aller verständlicherweise gelangweilten Studenten war ihm sicher; die meisten lachten und versuchten, sich provozierende Bemerkungen auszudenken.
    Als der Penner auf sie zugeschlurft kam, fragte eine ihre Nachbarin, wie ihr Sommer gewesen wäre. »Was soll schon sein?« fragte der Penner. »Fiskalischer Konservatismus? In der Theorie ganz prima! Aber hart. Man muß hart und human zugleich sein, wißt ihr, ein großer Führer muß beide Gegensätze in sich vereinigen! Kann kein verdammter Diktator wie S. S. Krupp sein!«
    Das löste Gejohle und Gelächter der älteren Semester aus, die gerade entschieden hatten, daß der Trunkenbold cool war. Septimus Severus Krupp, Rektor der Amerikanischen Megaversität, war nicht beliebt. »Himmel Herrgott!« fuhr er trotz des Gelächters fort. »Was, um Gottes willen, bringen sie euch Wilden denn heutzutage bei? Ihr braucht eine Abreibung! Keine Spiele mehr. Vielleicht ist ein Diktator ja genau das, was ihr braucht! Alkibiades! Pompilius Numa! Die würden schnell und gründlich für Ordnung sorgen.«
    Sarah kannte den Mann. Er drang gern in die Vorlesungen an der Big U ein und hielt den Dozenten,
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