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Big U

Big U

Titel: Big U
Autoren: Neal Stephenson
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die acht fünfundzwanzigstöckigen Türme, in denen die vierzigtausend Studenten der Universität wohnten. Jeder Turm hatte vier achtundvierzig Meter lange Flügel in rechten Winkeln, so daß ein Schweizer Kreuz entstand. Diese Türme lagen an den vier Ecken und den vier Seiten der Basis. Der offene Raum zwischen ihnen war eine riesige Dachfläche, die Teerstadt genannt wurde und von enormen Maschinen, von oben herabgeworfenen zertrümmerten Möbelstücken, Ratten, Schaben, Studenten bei Mutproben und den verwesenden Kadavern verschiedener Lebewesen bevölkert wurde, die sich an heißen Sommertagen hinausgewagt hatten und im Teer steckengeblieben waren. Wir konnten nur die neutralen hellbraunen Türme mit Tausenden und Abertausenden von identischen Fenstern sehen, die sich bis in den Himmel zu erstrecken schienen. Selbst für einen Stadtmenschen ein ehrfurchtgebietender Anblick. Aber im Vergleich zu den würdevollen alten Backsteingebäuden rief alles ein nagendes Gefühl der Verlegenheit in mir wach.
    Der Wirbel, dessen geschwungene Fahrbahnen sich um die Backsteingebäude herum schlängelten, spuckte zwei Abfahrten aus, die als Ein-und Ausfahrt zum Parkdeck des Plex dienten. Diese führten etwa auf Höhe des dritten Stocks in die Seiten des Gebäudes hinein. Für uns waren sie nutzlos, daher gingen wir weiter Richtung Südseite.
    Hier gab es tatsächlich etwas Grün: einen Grasstreifen zwischen dem Fußweg und dem Parkway. Auf dieser Seite bestand die Fassade des Plex aus dunklerem Sand-stein mit zahlreichen Buntglasfenstern und Reklametafeln der Geschäfte der Einkaufsarkade im Erdgeschoß. Der Haupteingang selbst bestand lediglich aus acht Drehtüren in einer Reihe, und nachdem wir sie durchschritten hatten, umfingen uns klimatisierte Luft, Muzak, der Geruch von Karmel Korn und das idiotische Geblubber von mit Pennys verstopften Springbrunnen. Diesen Bereich durchquerten wir so schnell wie möglich und fuhren mit den langen Rolltreppen (»So muß man sich in einem Skilift fühlen«, sagte Casimir) zum zweiten Stock hinauf, wo uns eine Reihe Wachkabinen den Weg versperrten wie eine Mautstelle auf der Autobahn. Mehrere Glaskäfige waren mit uralten Wachmännern in blauen Uniformen besetzt, die uns lustlos durch die Drehkreuze winkten, als wir ihnen die Ausweise vor die Nase hielten. Auf der anderen Seite blieb Casimir stirnrunzelnd stehen.
    »Mich hätten sie nicht reinlassen dürfen«, sagte er.
    »Warum?« fragte ich. »Ist das nicht dein Ausweis?«
    »Na klar ist er es«, sagte Casimir Radon, »aber das Foto ist so schlecht, daß sie das unmöglich feststellen können.« Er meinte es ernst. Wir betrachteten den rundlichen blauen Rücken des Wachmannes. Die meisten waren Veteranen aus dem Korea-oder dem zweiten Weltkrieg. Die Glaskabuffs des Plex hatten ihre Körper ruiniert. Jetzt waren sie vollkommen passiv in ihrer Denkweise; aber eben darum konnte man sie auch unmöglich veralbern oder überraschen.
    Wir gingen durch eine Glastür und befanden uns in der Haupthalle.
    Das Umweltkontrollsystem des Plex war so eingestellt, daß jeder sich vier Jahre nur mit einer Unterhose und einer Schweißerbrille bekleidet darin aufhalten konnte, ohne daß er jemals fror oder es zu dunkel fand. Viele verbrachten ihre gesamte Laufbahn dort und bemerkten es nicht einmal. Casimir Radon war das gnadenlose Leuchtstofflicht nach nicht einmal einem Tag aufgefallen. Licht wurde hektarweise vom polierten Boden der Halle reflektiert wie die Sonne vom antarktischen Eis, und nun rollte eine Welle von Schmerzen aus der Nähe des breiten Informationsschalters aus Vinyl auf Casimir zu, schlug über ihm zusammen, strömte durch ein kleines Loch in der Mitte seines Schädels ein und sammelte sich kalt hinter seinen Augen. Große gelbe blinde Flecken tauchten im Zentrum seines Gesichtsfelds auf, so daß er mit den Händen vor den Augen und offenem Mund zum Stillstand kam. Ich kannte mich einigermaßen aus und wußte, daß es sich um Migräne handelte, daher nahm ich ihn an seinem knochigen Arm und führte ihn zu seinem Zimmer im D-Turm. Er bettete sich vorsichtig auf die unbezogene Plastikmatratze, legte eine Socke über die Augen und bedankte sich bei mir. Ich ließ die Jalousien herunter, blieb hilflos eine Weile sitzen und überließ es dann ihm allein, sich an die Big U anzupassen.
    Danach trug er eine Art Uniform: altes T-Shirt, abgeschnittene Jeans oder Sporthose, hohe Tennisschuhe (»damit die Ratten nicht an meine Knöchel kommen«)
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