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Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)

Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)

Titel: Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)
Autoren: Karen Vad Bruun , Benni Bødker
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gesehen?«
    »Er wird kommen«, fuhr die junge Frau fort. »Lasst mich in Ruhe.«
    Thor beugte sich über sie und schüttelte sie leicht, damit sie ihn wahrnahm. Ihre Augen glitten immer wieder weg, und er drehte ihren Kopf und wollte sie dazu zwingen, ihn anzusehen. Linnea tippte ihm auf die Schulter.
    »Merkst du denn nicht, dass sie unter Schock steht? Sie darf jetzt nicht befragt werden, sie muss in Behandlung.«
    Sie sah ihn vorwurfsvoll an, woraufhin er einen Schritt auf sie zu tat, ohne seinen Griff um die Arme der jungen Frau zu lockern.
    »Sieh sie doch mal an«, flüsterte er.
    »Das hab ich schon, und du kennst meine Diagnose.«
    »Nein, ich meine ihre Klamotten.«
    Er deutete mit dem Finger darauf.
    »Blut.«
    Die Frau trug einen dicken braunen Pullover mit einem W-förmigen Logo auf der Brust und einer Kapuze, über die das glatte schwarze, schulterlange Haar fiel; außerdem ein paar gefütterte Wildlederstiefel und Jeans mit dunklen Schatten in Höhe der Oberschenkel, unverkennbar viele kleine Blutspritzer, die sich zu einem Muster verdichteten.
    »Sieh sie dir doch an«, sagte Linnea. »Du kannst doch wohl nicht ernsthaft glauben, sie hätte jemanden getötet.«
    Thor schüttelte den Kopf.
    »Nein, aber sie muss hier gewesen sein. Ich wette, dass sie alles gesehen hat.«
    Er klang eifrig.
    »Vielleicht war sie ja schon in der Umkleidekabine, als der Täter sich Zutritt verschaffte, um Spang-Hansen zu töten. Vielleicht hat sie sich versteckt. Sie hat alles mit angesehen. Würde sie nicht unter Schock stehen, dann wäre sie die perfekte Zeugin. Sie würde uns den Täter auf einem Silbertablett servieren, wenn ich sie nur irgendwie zum Reden bringen könnte. Und das kann ich. Ich weiß es.«
    Er warf Linnea, die ihn zweifelnd anschaute, einen flehenden Blick zu. Sie ignorierte ihn.
    »Ich gebe dir zwei Minuten. Wenn du sie nicht innerhalb von zwei Minuten zu den Rettungssanitätern gebracht hast, werde ich es tun, Hauptkommissar hin oder her!«

    *
    Thor blieb stehen und sah Linnea nach, als sie aufs Eis ging, um endlich die Leiche zu untersuchen.
    Das Ganze war nicht leicht. Einerseits hatte Linnea recht, die Frau war genauso ein Opfer wie Spang-Hansen. Sie war zwar nicht gestorben, musste aber für immer damit leben, was sie gesehen hatte. Und gleichzeitig konnte er doch nicht ausschließen, dass sie womöglich etwas ganz anderes war – nämlich die Mörderin. Er konnte es sich nicht erlauben, sie völlig in Ruhe zu lassen. Zwar durfte er sie eigentlich nicht verhören, solange sie unter Schock stand. Aber sie konnte der Schlüssel zu einer schnellen Lösung des Falls sein. Thor versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass genau das seine wichtigste Priorität sein musste, sosehr er auch selbst daran zweifelte.
    Mit so einem Für und Wider war Thor im Grunde schon seit seinem ersten Tag als Polizist konfrontiert, als seine Abschlussklasse vom Polizeipräsidenten höchstpersönlich empfangen und anschließend auf dem Politigården in Kopenhagen herumgeführt worden war. Erst durch die labyrinthischen Gänge – er hatte vorher gelesen, dass man diesen Baustil als heroischen Klassizismus bezeichnete, was für ihn wie irgendetwas aus Mussolinis Italien klang – und anschließend durch die Arkaden und in den Andachtshof am Ende des offenen Platzes. Hier stand Einar Utzon-Franks Der Schlangentöter , einen jungen Mann darstellend, der eine Schlange mit den Füßen im eisernen Griff hielt. Die Symbolik war geradezu aufdringlich. Dies war ein Bild für alles, was die Polizei sein sollte: Die unbescholtene, starke Übermacht, die das Böse unter Kontrolle hat. Doch schon damals hatte Thor das Gefühl gehabt, dass niemand diesen Anforderungen gerecht werden konnte. So unbefleckt und ideal war die Wirklichkeit nie. Manchmal musste man einen Unschuldigen, ja sogar ein Opfer, gegen seinen Willen zu etwas zwingen. Obwohl man im Dienste des Guten stand, musste man Dinge tun, durch die man zum Peiniger wurde.
    Thor drehte sich um und sah erneut die Frau an. Ihr Blick flackerte noch immer unruhig, aber sie hatte sich nicht dagegen gewehrt, dass er sie – mittlerweile sanft – festhielt.
    »Du bist jetzt in Sicherheit«, erklärte er. »Kannst du mir erzählen, was du gesehen hast?«
    Doch plötzlich zog sie blitzartig ihre Hand zurück.
    »Verdammt!«
    Für eine Sekunde ließ er die Frau los und musste einen Schmerzensschrei unterdrücken. Sie hatte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger gebissen, die
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