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Betongold

Betongold

Titel: Betongold
Autoren: Tom Westerhoff
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kleine Kerzen aufgestellt und im Halbdunkel leuchtete an der Wand die Zahl 6.15 in großen roten Lettern.
    Â»Herzlichen Glückwunsch Papa, alter Mann«, hatte er gesagt und über beide Backen gegrinst. »Hab dich lieb und der Wecker ist, damit du morgens nicht immer die Brille suchen musst, um zu wissen, was die Stunde geschlagen hat.
    Â»Danke mein Sohn, hab dich auch lieb, bis zum Mond und wieder zurück«, hatte er erwidert. Ich könnte dich aber auch manchmal dorthin schießen und erst abholen, wenn die Pubertät vorbei ist. Aber das hatte er für sich behalten.
    Er nahm einen Schluck aus der Wasserflasche, die neben seinem Bett stand, und versuchte sich an den Traum zu erinnern.
    Er hatte ganz alleine in einem Eiscafé gesessen und einen Bananensplit bestellt. Den hatte er als Kind schon so gemocht; die Banane als Schiff geformt mit den Vanilleeiskugeln in der Mitte und der linienförmigen Schokoladenglasur als krönenden Abschluss.
    Er war in sein Lieblingsbuch vertieft und hatte hochgeschaut, als das Mädchen ihm das Eis brachte. Es war seine Tochter Lea und er freute sich so sehr, sie zu sehen. »Erkennst du mich nicht?«, sagte er, nachdem sie ihn erstaunt ansah, doch sie hatte nur erwidert: »Nicht, dass ich wüsste«, sich umgedreht und war durch eine Tür verschwunden.
    Er lief ihr nach, öffnete die Tür und befand sich mitten in einem tief verschneiten Tannenwald.
    Seine Tochter stand neben einem riesengroßen Schneemann. Der Schneemann hatte Augen aus braunen Kastanien, einen Tannenzapfen als Nase und einen schiefen Mund aus einem gebogenen Zweig.
    Â»Das ist mein Papa, er ist immer da, wenn es um mich kalt wird«, sagte sie und versteckte sich hinter dem Schneemann. Paul lief um den Schneemann herum, doch sie war nicht da, stattdessen sah er in ein tiefschwarzes Loch, und noch bevor er reagieren konnte, stürzte er hinein.
    Er vermisste seine Tochter Lea sehr, seit er mit seinem Sohn Tobias vor drei Jahren aus Berlin ins Frankfurter Westend gezogen war. Er hatte es nicht geschafft, dachte er. Er hatte es nicht geschafft, seine Familie zusammenzuhalten.
    Lea war damals 15. Am Tag des Umzugs hielt er sie ganz fest im Arm und sie spürte seine Tränen auf ihren Wangen. »Kopf hoch, Papa«, hörte er sie sagen. »Wir schaffen das, und ich hab dich lieb, bis zum Mond und wieder zurück.« Sie war schon so groß im Herzen.
    Mühsam wand er sich aus dem Bett; sein Meniskus im rechten Knie machte sich bemerkbar; er ging in die kleine Einbauküche und drückte auf den Knopf der halbautomatischen Kaffeeaufbereitungsmaschine. Nach einigen endlosen Sekunden vollzog sie ihre typisch grunzenden Aufwärmgeräusche.
    Paul Kunkel schloss die Zwischentür zum Flur und dem Zimmer von Tobias, es war halb sechs und der junge Herr wollte ja erst um 6.30 geweckt werden. Mit Frühstück natürlich. Toast Stufe 4, Erdbeermarmelade, aber die Gute; Goudakäse, den mittelalten und einen Cappuccino mit selbst aufgeschäumter Milch. »Sehr wohl junger Herr, ruhen Sie noch etwas, bevor Ihnen Ihr Diener nach dem Morgengruß das Frühstück kredenzt«, brummelte er vor sich hin.
    Er hatte eigentlich noch eine halbe Stunde, bevor er normalerweise aufstand. Nun setzte er sich mit seinem Café Crème den Esstisch, den er in einer Kauflaune kurz nach dem Einzug auf dem Flohmarkt am Museumsufer gekauft hatte. Es war ein alter Biertisch, so richtig hoch und breit, wie man ihn früher in vielen Dorfkneipen kannte, mit zahlreichen Kanten und Macken. »Wer weiß, wer hier wen über den Tisch gezogen hat«, hatte der Trödler gesagt. Er mochte den Tisch, denn er passte überhaupt nicht zu dem leicht orange-ockerfarbenen Berberteppich, den ihm seine Schwester zum Einzug in die Wohnung geschenkt hatte.
    Gerade als er den ersten Schluck aus seiner Kaffeetasse nahm, kratzte es an der Zwischentür und ein herzerweichendes Maunzen gesellte sich dazu. Lady Jeremy, Tobias schwarze Katze, verschaffte sich Gehör, um Einlass zu Ihrem Fressnapf in der Küche zu bekommen.
    Während er den Fressnapf mit Trockenfutter auffüllte, vibrierte sein Handy auf dem Biertisch. »Wenn jemand schon so früh anruft, kann es nur ein Wolf sein«, erklärte er Lady Jeremy und die Nummer auf dem Handy bestätigte seinen Verdacht.
    Â»Ja, HALLO?«
    Â»Morgen Paul, du scheinst ja schon länger wach zu sein«, brummte
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