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Beton

Beton

Titel: Beton
Autoren: Thomas Bernhard
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ihm, halte ich es überhaupt nicht aus. Wieder sah ich meine Schwester in schlechtem Lichte. Sie hatte doch nur Hohn und Spott für mich übrig. Sie machte mich, wo sie nur konnte, lächerlich, alle Augenblicke und wenn die Gelegenheit dazu da war, vor allen andern. So sagte sie vor einer Woche, am Dienstag, als wir den sogenannten Minister (Landwirtschafts- und Kulturminister in einem!) aufsuchten, der seine Villa von Grund auf hat erneuern lassen und der mir widerlicher ist als alle andern, vor der ganzen Gesellschaft im sogenannten blauen Salon (!), er (also ich!) schreibt seit zehn Jahren an einem Buch über Mendelssohn Bartholdy und hat noch nicht einmal den ersten Satz im Kopf . Schallendes Gelächter aller dieser stumpfsinnigen Leute in ihren widerwärtig-weichen Fauteuils, war die Folge gewesen und tatsächlich fragte einer der Anwesenden, ein Internist aus Vöcklabruck, der Nachbarstadt, wer denn nun eigentlich Mendelssohn Bartholdy sei. Worauf meine Schwester teuflisch lachend das Wort Komponist ausgestoßen hat, was wiederum nur ein ekelhaftes Gelächter hervorgerufen hatte bei diesen Leuten, die alle Millionäre und stumpfsinnig und dazu auch noch abgestandene Grafen und senile Barone sind, die jahraus, jahrein in Jahrzehnten durchgestunkene Lederhosen anhaben und ihre armseligen Tage mit Geschwätz über Gesellschaft, Krankheit und Geld ausfüllen. Augenblicklich hatte ich diese Gesellschaft verlassen wollen, aber ein Blick meiner Schwester genügte, mein Vorhaben aufzugeben. Ich hätte aufstehen und gehen sollen, dachte ich jetzt, aber ich bin sitzen geblieben und habe diese sich bis in die späte Nacht hineinziehende grauenhafte Erniedrigung über mich ergehen lassen. Es wäre doch unmöglich gewesen, meine Schwester allein zu lassen in dieser Gesellschaft, die ihr in allem und jedem entsprochen hatte, es waren eben alles angesehene Leute mit viel, ja mit unendlich viel Geld im Hintergrund und mit allen möglichen die Welt in Atem haltenden Titeln. Wahrscheinlich, dachte ich jetzt, wittert sie ein Geschäft, siemachte ja die größten Geschäfte mit diesen alten Grafen und alten Baronen, die sehr oft kurz vor dem Lebensende riesige Happen ihrer noch viel riesigeren Besitzungen abstießen, um sich und naturgemäß dadurch auch ihre Erben, zu erleichtern. Natürlich, ein solcher Abend in einem solchen Hause und in einer solchen Gesellschaft kann für meine Schwester ein Millionengeschäft bedeuten, dachte ich, mir bedeutet es nichts, aber ich habe ja immer auf meine Schwester Rücksicht zu nehmen. Sie verschränkt ihre Beine und sagt einem alten Baron einen schmeichelhaften durch und durch verlogenen Satz und verdient sich damit ein ganzes Jahr Lotterleben, dachte ich. Schon als Kind hatte meine Schwester einen unglaublich geschärften Geschäftsgeist. Ich erinnere mich, daß sie unumwunden jeden Gast, der hier auftauchte, um Geld angegangen ist, die Leute fanden das originell für ein Kind von sieben, acht Jahren, obwohl es sie hätte abstoßen müssen, wie es mich damals schon abgestoßen hat. Die Eltern verboten es ihr natürlich, aber sie hielt sich schon damals an keinerlei elterliches Verbot. Auf dieser Gesellschaft, von welcher ich gerade gesprochen habe, ermunterte sie am Ende noch den sogenannten Baron Lederer, der in Wirklichkeit, wie ich weiß, überhaupt kein Baron ist, sie bei seinem nächsten Besuch in Wien, in das Bristol einzuladen; was jedem als eine Unverschämtheit erscheinen mußte, war in Wirklichkeit ein grandioser Schachzug meiner Schwester, die immer genau wußte, wie ihre Geschäfte anzubahnen sind. Und sie hat immer Erfolg gehabt. Wenn sie heute sagt, sie habe nach dem Tod unserer Eltern ihr Vermögen verdreifachen können, so muß ich annehmen, daß sie es nicht nur einmal, sondern wahrscheinlich drei- oder viermal verdreifacht hat, denn in Geschäftsangelegenheiten hat sie mich immer belogen, schon aus Angst, ich könnte eines Tages auf die Idee kommen, etwas von ihr zu fordern. Davor braucht sie keinerlei Angst zu haben. Was ich noch habe, reicht, solange ich lebe, denn ich lebe ja nicht mehr lang, sagte ich mir und stand vom Sesselauf und ging in die Küche. Da ich ja jetzt in meinem Vorhaben, gleich in der Frühe mit meiner Arbeit über Mendelssohn Bartholdy anzufangen, gescheitert bin, sagte ich mir, kann ich mich ja in die Küche setzen und frühstücken. Während ich widerwillig mein Brot aß und den inzwischen kalt gewordenen Tee trank, ich hatte keine Lust, mir einen
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