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Beton

Beton

Titel: Beton
Autoren: Thomas Bernhard
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solle, gar nicht daran gedacht hätte, zu verschwinden. Sie hätte mir ins Gesicht gelacht und sich dann vollkommen im Haus ausgebreitet. Einerseits können wir, Unseresgleichen, nicht allein sein, andererseits halten wir es in Gesellschaft nicht aus, wir halten es in männlicher Gesellschaft, die uns zutode langweilt, nicht aus, aber in weiblicher auch nicht, die männliche Gesellschaft habe ich Jahrzehnte überhaupt aufgegeben, weil sie die unergiebigste ist, die weibliche geht mir aber in kürzester Zeit auf die Nerven. Meiner Schwester hatte ich allerdings immer wieder zugetraut, mich aus der Hölle des Alleinseins zu erretten und ehrlich gesagt, ist es ihr auch sehr oft gelungen, mich aus dem Alleinsein, das doch die meiste Zeit nichts anderes ist, als ein schwarzer verheerender, ekelerregender stinkender Sumpf, herauszuziehen, aber in letzter Zeit hatte auch sie dazu nicht mehr die Kraft, vielleicht auch nicht mehr den Willen; vielleicht zweifelte sie auch schon zu lange an meiner Ernsthaftigkeit und dafür ist ja ihre ständige rücksichtslose Hänselei meinerseits mit Mendelssohn Bartholdy, einBeweis. Ich hatte seit Jahren keine Schrift mehr zustande gebracht, wegen meiner Schwester, wie ich immer behaupte, aber vielleicht auch wegen meiner tatsächlichen Unfähigkeit, überhaupt jemals noch eine Schrift zu schreiben. Wir versuchen alles, um mit einer solchen Schrift anfangen zu können, wirklich alles und ist es das Fürchterlichste, wir schrecken vor nichts zurück, das uns eine solche Schrift schreiben läßt und sei es die größte Unmenschlichkeit und die größte Perversität und das schwerste Verbrechen. Allein in Peiskam, von allen diesen kalten Mauern umgeben, mit dem Blick immer nur auf die Nebelwände, hätte ich keine Chance gehabt. Ich hatte ja die unsinnigsten Versuche gemacht, mich beispielsweise auf die Treppe, die vom Speisezimmer in den ersten Stock hinaufführt, gesetzt und ein paar Seiten Dostojevski deklamiert, aus dem Spieler in der Hoffnung, durch diese Maßnahme, meine Arbeit über Mendelssohn Bartholdy anfangen zu können, aber natürlich scheiterte dieser absurde Versuch, er endete mit einem längeren Schüttelfrost und damit, daß ich mich mehrere Stunden schweißtriefend in meinem Bett hin- und herwälzte. Oder ich lief in den Hof hinaus, atmete dreimal tief ein und dreimal tief aus, um dann abwechselnd den rechten und dann den linken Arm soweit als möglich auszustrecken. Aber auch diese Methode erschöpfte mich nur. Ich versuchte es mit Pascal, dann mit Goethe, dann mit Alban Berg, umsonst. Wenn ich einen Freund hätte!, sagte ich mir wieder, aber ich habe keinen Freund und ich weiß, warum ich keinen Freund habe. Eine Freundin!, rief ich aus, so daß es im Vorhaus widerhallte. Aber ich habe keine Freundin, ganz bewußt habe ich keine Freundin, denn dann hätte ich ja meine Geistesambitionen vollkommen aufgeben müssen, man kann nicht eine Freundin haben und gleichzeitig Geistesambitionen, wenn man in einem so schlechten Allgemeinzustand ist wie ich. An eine Freundin und an Geistesambitionen ist nicht zu denken! Entweder ich habe eine Freundin, oder ich habe Geistesambitionen, beides zusammenist unmöglich. Und ich habe mich schon sehr früh für die Geistesambitionen entschieden und gegen die Freundin. Einen Freund hatte ich niemals haben wollen von dem Zeitpunkt an, in welchem ich zwanzig und damit aufeinmal ein selbständiger Denker gewesen bin. Die einzigen Freunde, die ich habe, sind die Toten, die mir ihre Literatur hinterlassen haben, ich habe keine anderen. Und es war mir immer schon schwierig gewesen, überhaupt einen Menschen zu haben, da denke ich gar nicht an ein so von allen mißbrauchtes und unappetitliches Wort wie das Wort Freundschaft. Und schon sehr früh habe ich zeitweise überhaupt keinen Menschen gehabt, alle andern haben einen Menschen gehabt, ich habe keinen gehabt, wenigstens ich wußte, daß ich keinen habe, wenn die andern auch fortwährend behaupteten, ich hätte einen, sagten, du hast einen, wo ich doch durch und durch sicher gewesen war, keinen zu haben und, vielleicht war dieser Gedanke der entscheidende, der vernichtendste, keinen zu brauchen. Ich bildete mir ein, keinen Menschen zu brauchen, ich bilde mir das noch heute ein. Ich brauchte keinen und also hatte ich keinen. Aber naturgemäß brauchen wir einen Menschen, sonst werden wir unweigerlich so, wie ich geworden bin: mühselig, unerträglich, krank, in des Wortes allertiefster Bedeutung
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