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Beton

Beton

Titel: Beton
Autoren: Thomas Bernhard
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es so mit Mendelssohn Bartholdy? Der Gedanke machte mich beinahe verrückt, ja schon wahnsinnig, daß ich möglicherweise das Thema überstrapaziert habe und es mir dann auch nichts nützt, einerseits sozusagen als rettender Engel meine Schwester herbeizutelegrafieren, andererseits sie aus dem Haus zu werfen undsofort. Zwei Wochen war ich in Hamburg gewesen, zwei Wochen in London, und in Venedigmerkwürdigerweise, habe ich die interessantesten Dokumente über Mendelssohn Bartholdy gefunden. Damit ich am besten geschützt bin, hatte ich mich schon gleich in das Bauer-Grünwald zurückgezogen, in ein Zimmer mit dem Blick über die roten Ziegeldächer weg auf die Markuskirche und habe die mir aus dem erzbischöflichen Palais geliehenen Dokumente studiert. In Turin hatte ich von Mendelssohn Bartholdy eigenhändig geschriebene Blätter über Carl Friedrich Zelter gefunden und in Florenz einen ganzen Stoß von Briefen, die Mendelssohn an seine Cécile geschrieben hat. Von allen diesen Schriften und Dokumenten hatte ich mir selbst Kopien gemacht oder herstellen lassen und sie dann nach Peiskam befördert. Aber diese Forschungsreisen Mendelssohn Bartholdy betreffend, liegen viele Jahre zurück, einige schon über ein Jahrzehnt. In einer eigens nur für diese Mendelssohn Bartholdy betreffenden Schriften und Dokumente eingerichteten Kammer hatte ich schließlich alle diese Schriften und Dokumente katalogisiert und mich oft wochenlang nur in dieser Kammer (über dem grünen Ersterstockzimmer!) aufgehalten. Es dauerte nicht lange und meine Schwester taufte die Kammer auf Mendelssohnkammer. Zuerst, denke ich, hatte sie tatsächlich voller Hochachtung und Ehrerbietung von dieser Mendelssohnkammer gesprochen, schließlich aber doch mehr spöttisch, höhnisch, mich verletzend. Erst nach Jahren hatte ich angefangen, verschiedene mir dafür wichtig erscheinende Schriften aus der Mendelssohnkammer heraus und auf meinen Schreibtisch zu transportieren, immer in dem Glauben und in der Hoffnung, der Zeitpunkt, in welchem ich mit meiner Arbeit anfangen kann, sei nicht mehr weit. Aber ich hatte geirrt. Meine Vorbereitungen dauern jetzt schon jahrelang, wie gesagt, über ein Jahrzehnt. Vielleicht, so denke ich, hätte ich meine Vorbereitungen durch nichts unterbrechen dürfen, nichts über Schönberg in Angriff nehmen, nichts über Reger, die Nietzsche-Skizze niemals auch nur in Betracht ziehen, alle diese Abweichungen vom Thema hattenmich letztenendes anstatt für Mendelssohn reif zu machen, immer noch weiter von Mendelssohn abgebracht. Und wenn wenigstens diese Themen, die ich ja gar nicht mehr alle aufzählen kann, etwas gebracht hätten, sie haben mir aber immer wieder nur gezeigt, wie schwer es ist, eine Geistesarbeit überhaupt zustande zu bringen, und sei es die kürzeste, scheinbar nebensächlichste, wobei es selbstverständlich ist, daß es überhaupt keine nebensächliche Geistesarbeit geben kann, nicht in meinem Verstande. Im Grunde waren alle diese Versuche mit Schönberg, Reger etcetera, nichts anders als Ablenkungen von meinem Hauptthema gewesen, die außerdem, was mich total schwächen mußte, sämtlich mißglückt sind. Und es ist gut, daß ich sie alle vernichtet habe, diese Versuche, die letztenendes in ihren Ansätzen steckengeblieben sind und an deren Veröffentlichung, wenn ich eine solche gemacht hätte, ich heute wahrscheinlich zutiefst verletzt wäre. Aber ich habe immer ein gutes Gefühl dafür gehabt, was zu veröffentlichen ist und was nicht, wobei ich den Gedanken, daß Veröffentlichen überhaupt ein Unsinn, wenn nicht gar ein Geistesverbrechen oder besser, ein Kapitalverbrechen am Geiste ist, immer gehabt habe. Wir veröffentlichen ja nur, um unsere Ruhmsucht zu befriedigen, aus keinem andern Grund, wenn nicht aus dem noch viel niederträchtigeren Grunde der Geldbeschaffung, welcher aber durch die Umstände, in welche ich hineingeboren worden bin, bei mir ausscheidet, gottseidank! Hätte ich meinen Aufsatz über Schönberg veröffentlicht, ich getraute mich nicht mehr auf die Straße, auch wenn ich die Schrift über Nietzsche, wenngleich sie nicht völlig mißlungen ist, herausgegeben hätte. Jede Veröffentlichung ist eine Dummheit und der Beweis für einen schlechten Charakterzug. Den Geist herauszugeben, ist das schändlichste aller Verbrechen und ich habe mich nicht gescheut, mehrere Male dieses schändlichste aller Verbrechen zu begehen. Es war ja nicht einmal nur der plumpe Mitteilungsdrang gewesen, denn
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