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Beton

Beton

Titel: Beton
Autoren: Thomas Bernhard
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essen, wo sie, ihren Tafelspitz zerlegend und schluckweise ihren Rosé trinkend, mit den verkommenen Fürsten und überhaupt allen möglichen und unmöglichen kaiserlichen Hoheiten ihre Geschäfte macht. Mich ekelt vor ihrer heutigen Existenz. Auch an diesem Abreisetag hatte sie ihr Zimmer vollkommen unaufgeräumt hinterlassen, so daß ich mich schon gleich bei seinem Anblick vor der erst am darauffolgenden Wochenende kommenden Frau Kienesberger, die seit über zehn Jahren das Haus in Ordnung hält, genierte; alles lag wild durcheinander auf drei großen Haufen und die Bettdecke auf dem Boden. Und obwohl ich schon, wie gesagt, dreimal gelüftet hatte, war noch immer der Geruch meiner Schwester im Zimmer, tatsächlich war ihr Geruch noch immer im ganzen Haus, mich ekelte vor diesem Geruch. Sie hat auch meine jüngere Schwester auf dem Gewissen, denke ich oft, denn auch sie hatte vor ihrer älteren Schwester fortwährendAngst gehabt, in ihrer letzten Zeit wahrscheinlich tatsächlich Todesangst. Die Eltern machen ein kleines Kind und setzen damit ein Ungeheuer in die Welt, denke ich, das alles, das mit ihm in Berührung kommt, umbringt. Einmal hatte ich eine Schrift über Haydn verfaßt, nicht über Josef, über Michael Haydn, als sie plötzlich auftrat und mir die Feder aus der Hand schlug. Da ich die Schrift nicht fertig hatte, war sie ruiniert. Jetzt habe ich dir deine Schrift ruiniert!, rief sie aus voller Entzücken und lief zum Fenster und rief diesen teuflischen Satz mehrere Male ins Freie, jetzt habe ich dir deine Schrift ruiniert! Jetzt habe ich dir deine Schrift ruiniert! Dieser grauenhaften Überrumpelung war ich nicht gewachsen. Bei Tisch zerstörte sie jedes Gespräch schon in den Ansätzen, sie unterbrach es ganz einfach mit einem plötzlichen Gelächter oder mit einer grenzenlos dummen Bemerkung, die nichts mit dem gerade angefangenen Gespräch zu tun hatten. Mein Vater hatte sie noch am ehesten bändigen können, aber meine Mutter war ihr erbarmungslos ausgeliefert. Als unsere Mutter gestorben war, hatte meine Schwester, wir waren noch am Grab gestanden, mit gröbster Roheit vor sich hingesagt: sie hat sich selbst umgebracht, sie war einfach zu schwach zum Leben. Die einen sind stark und die andern sind schwach , waren ihre Wörter, wie wir aus dem Friedhof herausgegangen sind. Aber ich muß mich von meiner Schwester befreien, sagte ich mir jetzt und ging in den Hof hinaus. Ich atmete tief ein, was augenblicklich einen Hustenanfall bewirkte, sofort trat ich wieder ins Haus und ich mußte mich auf den Sessel unter dem Spiegel setzen, um einer Ohnmacht zuvorzukommen. Nur langsam erholte ich mich von dem Kälteeinbruch in meine Lungen. Ich nahm zwei Glyzerintabletten und in einem vier von den Prednisolonpillen. Ruhe, Ruhe, sagte ich vor mich hin, dabei beobachtete ich die Maserung des Fußbodens, die Lebenslinien der Lärchenbretter. Diese Beobachtung brachte mich wieder ins Gleichgewicht. Vorsichtig stand ich auf und ging wieder in den ersten Stock. Vielleicht gelingtes mir jetzt, mit meiner Arbeit anzufangen, dachte ich. Aber gerade als ich mich hinsetzte, fiel mir ein, daß ich noch nicht gefrühstückt habe und ich stand wieder auf und ging in die Küche hinunter. Ich nahm Milch und Butter aus dem Eiskasten, die englische Marmelade stellte ich dazu auf den Tisch und schnitt mir zwei Brotscheiben vom Wecken herunter. Ich stellte mir das Teewasser auf und setzte mich, dann, als ich alles für mein Frühstück hergerichtet hatte, an den Tisch. Aber diese Tatsache, die aus dem Eiskasten herausgenommene Butter und das aus der Schublade herausgenommene Brot essen zu müssen, deprimierte mich. Ich machte nur einen einzigen Schluck und verließ die Küche. Hatte ich es schon nicht mehr ausgehalten, jeden Tag mit meiner Schwester zu frühstücken, so hielt ich es jetzt nicht aus, allein zu frühstücken. Es ekelte mich vor dem Frühstück mit meiner Schwester genauso, wie es mich jetzt ekelte, allein zu frühstücken. Du bist wieder allein, du bist wieder allein, sei glücklich!, sagte ich mir, aber das Unglück ließ sich auf diese plumpe Weise nicht übertölpeln. So einfach und mit einer solchen geradezu schamlosen Taktik, läßt sich das Unglück nicht zum Glück machen. Mit vollem Magen hätte ich ja überhaupt nicht mit meiner Schrift über Mendelssohn Bartholdy anfangen können, dachte ich, wenn, so nur mit dem leeren Magen. Der Magen muß leer sein, will ich eine Geistesarbeit wie diese über Mendelssohn
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