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Beton

Beton

Titel: Beton
Autoren: Thomas Bernhard
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junge Frau, sei das Geschäft in einer der besten Straßen von Trudering gelegen. Sie hatte Mühe, nicht in ein Weinen auszubrechen, aber andererseits hatte ich ja wieder nicht die Absicht, sie von ihrem Unglück, das sie bis jetzt in seinem ganzen Ausmaß noch nicht eröffnet hatte, abzulenken, denn ich wollte ja jetzt hören, was wirklich und weiter geschehen war. Die junge Frau war naturgemäß nicht imstande gewesen, einen chronologischen Bericht zu geben und wie ich es jetzt aufschreibe, ist es viel folgerichtiger, als es ihr zu sagen möglich gewesen war. Meine Großeltern waren zu weit weg, als daß sie sich um unser Kind hätten kümmern können, sagte sie. Meine Mutter war nicht gut auf meinen Mann zu sprechen, die Mutter hatte, wie alle Mütter von verheirateten Töchtern, den Wahn, ihr Mann habe ihr ihre Tochter weggenommen, aus den Händen gerissen und zwar vollkommen unrechtmäßig. Wir waren im Grund von allen verlassen und hatten nur die Schwierigkeiten mit dem Geschäft, sagte sie. Da sei sie, auf dem Höhepunkt des Nichtmehraushaltens, so sie selbst, auf die Idee gekommen, mit Mann und Kind nach Mallorca zu fliegen auf ein paar Wochen. Sie habe nicht die allerbilligste, aber doch beinahe die billigste Reise gebucht, das Zimmer soll einen Balkon haben, von dem aus das Meer zu sehen ist,wäre ihr einziger Anspruch gewesen, und sei Ende August, also vor über eineinhalb Jahren, aus München nach Mallorca abgeflogen. Wissen Sie, sagte sie, ich bin ja erst einundzwanzig, hatte sie gesagt und dann nicht weitersprechen können. Es ist das Hotel Paris , sagte sie, in dem wir untergebracht waren. Ich hatte mir alles anders vorgestellt. Sie konnte nicht sagen wie anders, auch nicht als ich sie fragte, wie anders, sie konnte es nicht. Als sie das erstemal nach ihrer Ankunft in der Frühe mit dem Kind in das Meerwasser gestiegen sei, habe es sie geekelt. Auch das Kind. Sie hätten sich zwei Liegestühle gemietet und seien mehrere Stunden schweigend unmittelbar unterhalb der Hotelmauern in diesen Liegestühlen gesessen, unter eintausend oder zweitausend Menschen. Sie hätten sich gar nicht unterhalten können, denn neben dem Hotel war eine Baustelle, die ihnen jedes Gespräch unmöglich gemacht habe. Sie hatten versucht, aus dem Hotel hinauszukommen, aber das war nicht möglich, sie fanden nirgendwo eine Unterkunft. So hatten sie schließlich schon am zweiten Tag an ihre Rückreise nach München gedacht, aber das konnten sie auch nicht, weil kein Platz im Flugzeug zu bekommen war. Tag und Nacht hatten wir uns die Ohren zustopfen müssen, sagte sie und wir sind vor lauter Ekel überhaupt nicht mehr ans Wasser gegangen, sondern landeinwärts, aber da sind wir beinahe umgekommen vor Hitze und Gestank. Und nicht einen Augenblick sind sie dem Lärm entkommen, haben immer nur aus Erschöpfung einschlafen können in einem Zimmer, dessen Wände so dünn waren, daß sie es hörten, wenn sich im Nebenzimmer jemand im Bett umdrehte. Wie ich die Schranktür aufmachte, sagte sie, sah ich ins Freie, denn die Schrankrückseite war nichts anderes als die vom Wetter schon zerrissene Betonmauer gewesen, nicht dicker als zehn Zentimeter. In der Nacht hat es so gezogen, daß wir uns alle drei verkühlt haben. Auch das Kind ist uns krank geworden. Tagsüber flüchteten wir in die Bar, in welcher es, wenn auch muffig, so doch erträglichgewesen war. Wir hatten Vollpension, sagte sie, aber wir konnten das Essen nicht essen. Am fünften Tag ist es geschehen, sagte sie. Sie sei, wohl wieder aus Erschöpfung, gegen zwei Uhr früh eingeschlafen und dann erst gegen fünf Uhr früh aufgewacht. Erschrocken. Es war ganz trüb, sagte sie. Da mein Mann nicht im Bett war, das Kind schlief, stand ich auf und ging auf den Balkon. Aber auf dem Balkon war mein Mann nicht. Ich legte mich wieder auf das Bett, stand aber sofort wieder auf und ging auf den Balkon und ich hatte schon so eine entsetzliche Ahnung gehabt, sagte sie und schaute vom Balkon in die Tiefe. Auf dem Beton unter dem Balkon lag ein Leichnam, mit einer Decke zugedeckt. Ich wußte sofort, daß das mein Mann ist, sagte die junge Frau. In der Hotelhalle hatten sie ihr gesagt, sie hätten den Leichnam schon um drei Uhr früh auf dem Betonboden gefunden, mit vollkommen zerschmettertem Kopf. Der Hoteldirektor habe ihr gesagt, er habe sie nicht aufwecken und erschrecken wollen und darauf gewartet, daß sie in die Halle herunterkomme, was jetzt geschehen sei. Wenn es tatsächlich ihr Mann sei
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