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Beton

Beton

Titel: Beton
Autoren: Thomas Bernhard
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daß der junge Härdtl nur für einen Augenblick auf den Balkon gegangen ist, um Luft zu schöpfen, möglicherweise, um sich nur eine Zigarette anzuzünden und, vielleicht auch noch in dem sogenannten Halbschlaf, über das Balkongitter in die Tiefe gestürzt ist, direkt auf den Beton unter dem Balkon. Man habe in der Zwischenzeit ein Verfahren eröffnet, sagte die junge Härdtl jetzt, schon aufgestanden und im Begriffe, auf den Friedhof zu gehen, sie habe aber nicht einmal eine Ahnung davon, was für ein Verfahren. Sie habe eine Fotografie ihres Mannes aus München mitgebracht,die sie uns zeigen wolle und sie zeigte uns die Fotografie, auf welcher ein junger dunkelhaariger Mann abgebildet war, ein Jüngling wie Millionen andere auch, ohne irgendetwas Außerordentliches, mager, mit traurigen Gesichtszügen, eher ein südländischer Typus, dachte ich, kein bajuwarischer. Und dann hatte nicht ich die Idee oder die Ungeheuerlichkeit gehabt, die junge Härdtl zu fragen, ob sie etwas dagegen habe, daß wir, die junge Cañellas und ich, sie auf den Friedhof begleiten, sondern die Cañellas. Ich weiß nicht, was diese damit bezwecken wollte, wahrscheinlich hatte sie Beweise haben wollen, die unmittelbare Anschauung quasi der Tragödie, von welcher wir jetzt, wenn auch schon sehr viel, so doch auch wieder nur in eher hilflosen Andeutungen erfahren hatten. Alle drei gingen wir dann die Jaime III hinauf und bestiegen dann ein Taxi zum Friedhof. Der Friedhof in Palma ist riesengroß und wirkt, wenigstens für den mitteleuropäischen Begriff, zuerst einmal ungemein fremdartig und dadurch unheimlich, er erinnert schon mehr an Nordafrika und die Wüste und ich dachte, obwohl ich immer geglaubt habe, es ist mir gleich, wo, da will ich nicht begraben sein. Die junge Härdtl hatte nicht mehr gewußt, bei welchem Eingang des Friedhofs das Taxi vorzufahren habe und tatsächlich hatte es gerade dort angehalten, wo es das Verkehrteste gewesen war. So irrte die junge Frau hastig, uns fortwährend verlierend, einmal in die eine, einmal in die andere Richtung, immer die Fotografie ihres toten Mannes in der Hand und fand die Grabstelle nicht. Schließlich bat ich sie, doch die Leute, die vor dem Leichenkühlhaus, aus welchem ein unbeschreiblicher Verwesungsgeruch herauskam, zu fragen, wo sie die Grabstelle ihres toten Mannes finde. Sie war aber dazu gar nicht imstande gewesen. Ich nahm ihr das Foto ab und nannte einem der vor dem Leichenkühlhaus in grauen Plastikmänteln herumstehenden Männer die Grabstellennummer und er deutete in eine bestimmte Richtung, in die wir dann alle drei gingen, die junge Härdtl voraus, wir hinter ihr, die Situation hättegar nicht peinlicher und abstoßender sein können, aber wir hatten ja alles so haben wollen, so heraufbeschworen und weniger wie ich glaube, aus Mitgefühl, denn aus Neugierde, ja wahrscheinlich sogar, aus Sensationshunger, wozu die junge Cañellas am Ende sehr viel beigetragen hatte. Am Ende standen wir vor einem dieser Tausende von zubetonierten Marmorvierecken, von welchem wir den gerade frisch hineingemeißelten Namen Isabella Fernandez herunterlesen konnten. Die junge Härdtl hatte jetzt Tränen in den Augen und versuchte, das von ihr mitgebrachte Foto ihres Mannes, an der Marmortafel zu befestigen, was ihr zuerst nicht gelang. Ich hatte aber zufällig den Rest einer Klebebandrolle eingesteckt und pickte damit das Foto an den Marmor. Mit Bleistift hatte die junge Härdtl unter den Namen der Isabella Fernandez den Namen ihres Mannes, nämlich Hans Peter Härdtl daraufgeschrieben gehabt, der Regen hatte den Namen schon etwas verwischt, aber er war noch deutlich zu lesen. Arme Leute, sagte sie oder solche, die von einem solchen Unglücksfall urplötzlich getroffen werden, wie sie und sich nicht richtig verständigen können, kommen, sterben sie, schon am gleichen Tag in einen solchen überirdischen Betonschacht, der oft nicht nur für zwei, sondern auch für drei Leichen gedacht ist. Überall hingen von den einbetonierten Marmortafeln kleinere oder größere Büschel von Plastikblumen herunter. Der ganze Friedhof war angefüllt mit dem Geruch aus dem Leichenkühlhaus. Zuerst hatte ich gedacht, wir lassen die junge Härdtl jetzt allein, aber dann war mir vorgekommen, daß es besser sei, wir bringen sie wieder mit dem Taxi zurück in die Stadt, verschämt haben wir uns, als sie voll aus sich herausheulte, abgewandt und auf die Wüste hinter dem Friedhof hinuntergeschaut. Nach etwa fünf
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