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Beton

Beton

Titel: Beton
Autoren: Thomas Bernhard
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Minuten hatte sie keine Kraft mehr, dazustehen und sie bat uns, wir mögen mit ihr aus dem Friedhof hinausgehen. Wir gingen hinaus und da weit und breit kein Taxi zu sehen gewesen war, bestellten wir ein solches durch den Pförtner des gleich anschließendan den Friedhof in einem großen palmenüberwachsenen Park stehenden Irrenhauses. Wir fuhren in die Stadt zurück, entschlossen uns aber dann, die junge Frau, die jetzt den traurigsten Eindruck machte, den man sich denken kann, in ihr Hotel zu bringen. Wieder hatte sie sich ein fürchterliches Hotel als Quartier ausgesucht, dachte ich, gleichzeitig aber, daß ihr ja gar nichts anderes übriggeblieben ist, daß sie, weil sie ganz einfach nichts besitzt jetzt, als ihr fürchterliches Unglück, keine andere Wahl hat, als in dieses entsetzliche Hotel Zenith zu gehen, welches das heruntergekommenste in ganz Calamayor ist und in welches vor allem die siebzig- bis neunzigjährigen deutschen Witwen von ihren Kindern aus Deutschland abgeschoben werden mit dem Hintergedanken, sie endgültig und auf die billigste Weise los zu sein. Zwölf Wochen in einem solchen Hotel mit Vollpension kosten nicht soviel wie eine halbe Woche anständig in Deutschland leben, sage ich mir. Zehntausende deutsche Witwen finden jedes Jahr zu Weihnachten unter dem Weihnachtsbaum einen sogenannten Überwinterungsgutschein , einen sogenannten Langzeitaufenthalt , wie sie die Reisebureaus zu Hunderten in allen möglichen der allerscheußlichsten Hotels in Mallorca anbieten und werden auf die Reise nach Mallorca geschickt, von welcher sie, das ist der insgeheime Wunsch ihrer Kinder und Gutscheinspender, nach Möglichkeit überhaupt nicht mehr und wenn, dann nurmehr noch als sogenannter Joschi , was im Reisebureaujargon soviel heißt wie im Kühlsack verpackte Leiche, zurückkommen. Natürlich ist mir auch dieses Mallorca und dieses Palma bekannt. Im Zenith wohnen , ist das Deprimierendste, in einem stinkenden, mit aufgerissenen, schmutzigen Plastikmöbeln und mit sich mühselig auf Krücken in den sogenannten Speisesaal, der ein finsteres luftloses Kellerloch ist, hineinbewegenden schon abgestorbenen Greisen und Greisinnen das Frühstück einnehmen und den Meeresblick genießen, indem man auf die unüberwindlichen Betonwände von gleich fünfoder sechs Meter vor dem Fenster in die Höhe gebauten Zinshäusern schaut. Da wohnen Sie?, hatte ich gesagt, wie wir die junge Härdtl haben aussteigen lassen. Das hätte ich nicht sagen sollen, denn die Folge meines Da wohnen Sie? war ein heftig aus ihr herausquellender Weinkrampf gewesen. Da es unmöglich gewesen war, den Kontakt mit dieser verzweifelten, ja tatsächlich mit ihrem grausamen Unglück alleingelassenen jungen Frau mit diesem Weinkrampf auf immer abzubrechen, hatten wir, die junge Cañellas und ich, beschlossen, die junge Härdtl am nächsten Vormittag an den Schauplatz , so ihre eigene Bezeichnung!, ihres Unglücks zu bringen, sie hatte uns darum gebeten und wir hatten nicht nein sagen können, auch wenn wir wußten, wir kommen dadurch immer noch weiter in eine ja jetzt schon kaum zu ertragende Situation. In meinem Hotel hatte ich naturgemäß nicht geschlafen, die Begegnung mit der jungen Frau Härdtl hatte sich zu einem kaum zu überstehenden Alptraum entwickelt. Pünktlich um elf, wie verabredet, holten die junge Cañellas und ich die Härdtl im Hotel Zenith ab. Wenn man diese Art von Hotels, die ausschließlich aus Geldgier gebaut und betrieben werden, beschreiben wollte, müßte man sich entschließen, eine Senkgrube für Menschen zu beschreiben, was nicht meine Absicht ist. Wir fuhren, jetzt im Auto der jungen Cañellas, nach Santa Ponsa und fuhren gleich bis zum Hotel Paris, welches uns natürlich nicht bekannt war. Wir gingen zwischen zwei Betonmauern durch, die nur eineinhalb Meter auseinander und offensichtlich von zwei Besitzern in eine Zwölf- oder Dreizehnstockhöhe gebaut waren, zwängten uns sozusagen durch und standen aufeinmal an einer Stelle, von welcher aus man genau zu jenem Balkon hinaufschauen konnte, von welchem der junge Härdtl in die Tiefe gestürzt ist. Da oben ist der Balkon, sagte die junge Härdtl und zeigte ihn. Und da unten ist er gelegen, sagte sie. Mehr ist nicht gesagt worden. Wir hatten uns wieder durch die Mauern zurückgezwängt und waren ins Auto gestiegen. Schweigend fuhrenwir nach Palma zurück, um vorher noch die junge Frau an ihrem Hotel Zenith aussteigen zu lassen. Wir haben sie nicht mehr gesehen. Es war
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