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Betörend wie der Duft der Lilien

Betörend wie der Duft der Lilien

Titel: Betörend wie der Duft der Lilien
Autoren: AMANDA MCCABE
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zusammengehalten.
    „Was glaubst du, Callie, ist der Liliendieb heute hier?“, fragte sie leise.
    Calliope erstarrte. Der Liliendieb – wie hatte sie ihn vergessen können? Sie blickte rasch von einem jungen Mann zum nächsten, doch der, den sie suchte, war nicht dabei.
    „Ich glaube nicht“, sagte sie.
    „Aber du hast jemand im Verdacht, oder? Weißt du, wer es ist?“, wollte Clio wissen.
    „Ich weiß gar nichts“, erwiderte Calliope. „Wie auch? Ich habe nur so ein Gefühl …“
    Aber Clio hörte schon nicht mehr zu. Thalia, die am anderen Ende des Raums die Musikinstrumente bewunderte, hatte ihr zugewinkt, und sie ließ Calliope allein.
    Zwar sah sie einige Leute, mit denen sie sich sonst sehr gern unterhielt, aber sie hatte das Gefühl, momentan keine angenehme Gesprächspartnerin zu sein. Daher stellte sie ihr halb leeres Glas ab und schlenderte zum Eingang von Lady Russells Wintergarten hinüber.
    Im Wintergarten war es angenehm warm, und es duftete würzig nach Pelargonien, Lavendel, Minze und feuchter Erde. Einige schmiedeeiserne Stühle luden zum Verweilen ein, aber es war niemand zu sehen. Calliope genoss die Stille, in der sie sich sammeln und ihren Gleichmut wiederfinden konnte.
    Am anderen Ende des Raums standen einige Statuen, eine Aphrodite und ihre nicht minder schönen, kaum bekleideten Begleiter, die die Pflanzen ringsum mit leidenschaftslosen Blicken zu mustern schienen. Ihre kalte Perfektion zog Calliope an.
    „Könnte ich nur wie du sein“, wisperte sie der hochmütigen Aphrodite zu. „So … selbstsicher. Unwandelbar. Frei von Zweifeln und Sorgen.“
    „Wie langweilig das wäre“, sagte Westwood.
    „Sind Sie mir etwa gefolgt?“, fragte sie, nicht im Mindesten überrascht.
    „Keineswegs, Miss Chase“, erwiderte er. „Ich war schon hier und habe die Stille und meinen Wein genossen …“, er hielt sein Glas hoch, „… als Sie hereinkamen. Mir blieb nichts anderes übrig, als Ihnen zuzuhören.“
    Calliope suchte mit den Händen am kühlen Marmor hinter sich Halt. Vor diesen undurchdringlichen cognacfarbenen Augen gab es einfach kein Entkommen.
    „Ich habe ein wenig Ruhe gesucht, bevor die Musik anfängt.“
    Er nickte verständnisvoll und kam zwei Schritte näher. Calliope erbebte, aber sein Blick ruhte gar nicht mehr auf ihr, sondern auf der Statue. „Sie haben sich die richtige Vertraute ausgesucht. Sie sieht so wissend aus, als habe sie alles gesehen, was es zu sehen gibt.“
    Tatsächlich wirkte Aphrodites Gesichtsausdruck auf Calliope weltgewandt und spöttisch. Genau wie Westwood. „Was sie wohl von Lady Russells Abendgesellschaften hält?“
    Sein sonores Lachen ging ihr durch und durch. „Ich möchte wetten, sie findet sie fad im Vergleich zu den Versammlungen im Allerheiligsten der Aphrodite-Tempel, wo regelmäßig … äh …“
    „Orgien stattfanden?“
    Er zog die Brauen hoch. „Miss Chase! Ich muss mich wundern!“
    Calliope unterdrückte ihre aufkeimende Verlegenheit. „Ich habe viel in der Bibliothek meines Vaters gelesen, unter anderem John Galts ‚Briefe aus der Levante‘. Und Lady Mary Wortley Montagues Reiseerzählungen.“ Sie berührte Aphrodites Fuß. Wirklich eine ideale Vertraute: vollkommen stumm. „Wenn es nach Ihnen ginge, würde sie sich wohl längst wieder im Schutt ihres ehemaligen Tempels langweilen.“
    „Ach, Miss Chase.“ Er beugte sich vor, sodass sie seinen warmen Atem an der Schläfe spürte. „Wer sagt denn, dass all die Orgien Geschichte sind?“
    Wie hypnotisiert von seiner Stimme, seinem Atem, seinem Blick sah Calliope zu ihm auf. In diesem Moment setzte außerhalb ihres grünen Zufluchtsortes die Musik ein, und der Bann war gebrochen. Er richtete sich auf, sie drehte den Kopf weg und schöpfte Atem, als habe sie eine große Anstrengung hinter sich.
    „Wollen wir?“, fragte er mit rauer Stimme.
    „Gern“, sagte sie leise und ging voran. Sie hörte, wie er ihr folgte, aber zum Glück bot er ihr nicht den Arm an. Sie war sich nicht sicher, wie sie auf eine Berührung reagiert hätte.

3. KAPITEL

    Calliope setzte sich neben Clio und versuchte, ihr rasendes Herz zu beruhigen.
    Clio drückte ihr ein Programm in die Hand und flüsterte: „Wo warst du?“
    „Im Wintergarten, bei der Aphrodite-Statue.“ Ihre Wangen glühten. Warum musste Lady Russell ihre Räume nur so warm halten?
    „Ah. Glaubst du, sie könnte beschließen, mit dem Liliendieb durchzubrennen?“
    Calliope unterdrückte ein Lachen. „Bestimmt nicht. Sie
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