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Betörend wie der Duft der Lilien

Betörend wie der Duft der Lilien

Titel: Betörend wie der Duft der Lilien
Autoren: AMANDA MCCABE
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zügeln, denn vor dem Anwesen der Marchioness of Tenbray hatte sich ein Menschenauflauf gebildet: Alle wollten das Fenster sehen, durch das der Liliendieb eingestiegen war. Cameron grinste: Was für ein dramatischer Spitzname, und was für eine Dreistigkeit: die raffsüchtigsten Sammler derart vorzuführen! Wenn es nur nicht so gefährlich und zerstörerisch gewesen wäre …
    Cameron war sonst der Erste, der gewagte Späße guthieß – schließlich stammte er selbst aus einer Familie von Exzentrikern. Aber mit derartig wertvollen und fragilen Kulturschätzen zu spielen, das ging zu weit. Wer wusste, ob, wo und in welchem Zustand die Objekte je wieder auftauchen würden?
    Das galt allerdings auch für andere Kunstwerke, zum Beispiel Avertons Artemis. Unwillkürlich verkrampfte sich Cameron, sodass die Pferde nervös die Köpfe herumwarfen. Dieser Bandit! Die Artemis gehörte nach Delos, ihre Heimat seit Jahrtausenden, nicht in die Schatzkammern eines habsüchtigen englischen Adligen, der ihren wahren Wert gar nicht zu schätzen wusste!
    Cameron vermeinte fast das Flüstern seiner Mutter zu vernehmen, die ihm einst mit ihrem warmen, musikalischen Akzent von Artemis erzählt hatte. Sie war Zeus’ liebstes Kind, die Göttin des Mon des und der Jagd, die Jungfer mit dem Silberbogen. In ihrem silbernen Wa gen jagt sie durch die Wälder, frei, niemals einem Manne ergeben. Einmal hat sie einen Pfeil in eine Stadt voller Ungerechter abgeschossen, und der Pfeil hat sie alle durchbohrt …
    Und jetzt war sie eine Gefangene. Was würde wohl die gelehrte Miss Chase dazu sagen? Cameron war sich sicher, dass sie eine klare Meinung zum Duke of Averton und seiner berühmten Alabastergöttin hatte. Aber würde sie mir diese Meinung anvertrauen?

2. KAPITEL

    Versonnen blickte Calliope in den Spiegel über ihrer Frisierkommode, während Mary ihr das Haar frisierte. An sich freute sie sich auf den bevorstehenden Hausmusikabend, der ausnahmsweise nicht von unbegabten höheren Töchtern an ihren unvermeidlichen Harfen oder Klavieren bestritten werden sollte, sondern ein Versuch war, die Musik nachzuempfinden, die bei den großen Festen der Antike zu den Tragödien von Aischylos oder Euripides aufgeführt worden war. Doch Calliope war abgelenkt.
    Immer wieder tauchte Lord Westwood vor ihrem inneren Auge auf, wie er windzerzaust und sorglos lachend auf seinem Phaeton gesessen hatte. Gedankenverloren zupfte sie an einem der zarten weißen Röschen auf der Kommode herum. Mit seinem spöttischen Lächeln und seinen unmögliche Ansichten brachte er sie völlig aus dem Konzept. Was hatte er bloß gegen sie?
    „Miss Chase, die Blumen brauche ich für Ihr Haar!“
    Betroffen blickte Calliope auf die zerknüllten Blütenblätter und ließ den gerupften Stängel los. „Entschuldige bitte, Mary.“
    „Soll ich den Artemis-Stil versuchen, Miss? Das ist doch gerade so en vogue .“
    „Nein, danke; lieber das Übliche.“ Calliope graute davor, mit derselben Frisur auf dem Fest zu erscheinen wie alle anderen.
    Mary schmollte, weil sie keine Gelegenheit bekam, ihr Talent unter Beweis zu stellen, aber Calliope wusste nun einmal genau, was zu ihr passte.
    Eine Weile hatte sie sich allerdings eingebildet, Cameron de Vere könne „zu ihr passen“. Als er nach seiner sehr ausgedehnten Mittelmeerreise nach London zurückgekehrt war, hatten die Salons vor Gerüchten über seine Schönheit und Verwegenheit gebrummt. Aber nicht das war es, was sie gereizt hatte, sondern sein Interesse an Kunst und Geschichte. Zu gerne hätte sie seinen Reiseerzählungen gelauscht.
    Ihre Väter hatten sich gut gekannt. Beide waren Gelehrte und Sammler gewesen, zugleich Konkurrenten und Freunde. Der Earl hatte ihren Vater schließlich übertrumpft, indem er eine echte Griechin geheiratet hatte und nicht einfach eine Französin wie Lady Chase. Obwohl Calliope und Cameron in einem ganz ähnlichen Umfeld aufwuchsen, liefen sie sich nicht mehr über den Weg, nachdem die de Veres zu ihren endlosen Reisen aufgebrochen waren.
    Als er als erwachsener Mann und frischgebackener Earl zurückkehrte, blühte in ihr die zarte Hoffnung auf, dass sie in ihm ihren Seelengefährten finden würde. Doch die erste Begegnung – bei einem Empfang in dem Stadthaus, das seine Eltern ihm hinterlassen hatten – hatte ihre Hoffnung im Keim erstickt.
    Seit ihrer frühen Kindheit erinnerte Calliope sich an eine großartige Hermesbüste, die sie bei einem Besuch in der Residenz der Westwoods einst im
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