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Betörend wie der Duft der Lilien

Betörend wie der Duft der Lilien

Titel: Betörend wie der Duft der Lilien
Autoren: AMANDA MCCABE
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seiner Mutter geerbt, die – genau wie ihre eigene Mutter – keine Engländerin gewesen war. Sie stammte aus Athen und war die Tochter eines berühmten Gelehrten gewesen.
    Kurz sah es so aus, als würde Westwood tatsächlich von seiner Kutsche herabsteigen, um der schäumenden Wut des jungen Mannes handgreiflich zu begegnen, aber dann gab Mountbank auf. In gefährlicher Schräglage jagte er seine Kutsche um die nächste Straßenecke.
    Etwas enttäuscht widmeten sich die Damen wieder dem Tee, der Musik und dem Geplauder. Calliope konnte sich jedoch nicht vom Fenster losreißen. Irgendetwas zwang sie, weiter auf Cameron de Vere, Lord Westwood, hinabzublicken.
    Hemmungslos über die Flucht seines Widersachers lachend hob er den Kopf, was seine hohen Wangenknochen und die klassisch gerade Nase noch besser zur Geltung brachte. Stolz und frei wie ein Seeräuber am Steuer seines Schiffes lehnte er sich an den gepolsterten Sitz. Passanten starrten ihn an, als zöge seine schiere Lebendigkeit sie in ihren Bann, aber er bemerkte sie gar nicht.
    Zum Teufel mit ihm. Dieser Kerl ist das genaue Gegenteil von mir. Er war frei. Frei von Verantwortung. Die Stirn an das kühle Glas gelehnt, sah Calliope zu, wie er sich wieder fing und die Zügel aufnahm. Selbst die alltäglichsten Bewegungen wirkten bei ihm geschmeidig und elegant.
    Ihre erste Begegnung fiel ihr wieder ein, am Anfang der Saison. War das wirklich erst Wochen her? Dieser Abend, als …
    Nein, sie wollte nicht weiter an ihn denken. Das brachte sie nur aus der Fassung, und diese Blöße wollte sie sich vor ihren Freundinnen nicht geben. Sie war immer gefasst und ruhig. Sie hatte sich im Griff. Ihre Familie verließ sich schließlich auf sie.
    Calliope griff nach dem Vorhang aus Atlasseide, um ihn vor das Fenster zu ziehen. Doch bevor es ihr gelang, blickte Lord Westwood auf und ertappte sie dabei, wie sie ihn ansah.
    Als hätte sich ein Wölkchen vor die griechische Sonne geschoben, runzelte er die Stirn. Die samtbraunen Augen verengten sich kurz, doch dann kehrte sein breites Seeräuberlächeln zurück, und er entbot ihr einen schwungvollen Gruß.
    Calliope stockte der Atem. Dieser Tunichtgut! Abrupt zog sie den Vorhang zu und drehte sich um – nur um festzustellen, dass Clio sie genau beobachtete. Von allen Schwestern war Clio ihr am nächsten, nicht nur vom Alter her, aber manchmal fand sie den intensiven Blick dieser grünen Augen etwas zu durchdringend.
    „Du solltest die Sonne meiden, Callie“, sagte Clio leise. „Du hast schon ganz rote Wangen.“
    Calliope Chase. Cameron legte die Stirn in Falten, als sie den Vorhang zuzog, wie um einen Dämon auszusperren. Calliope Chase sah gut aus, keine Frage, aber London war voller hübscher Frauen, und die meisten waren erheblich umgänglicher und berechenbarer als sie. Und doch bekam er sie seit ihrer ersten Begegnung – ihrem ersten Zusammenstoß – nicht mehr aus dem Kopf. Entwickelte er etwa ähnliche Schrullen wie sein Cousin Gerald, der Dirnen viel Geld dafür bot, dass sie seine entblößte Kehrseite mit einer Gerte bearbeiteten und ihm Qual und Lust zugleich bereiteten?
    Lachend fädelte er sich in den Verkehr ein. Die Vorstellung, wie Calliope Chase mit Feuer in den braunen Augen eine Lederpeitsche schwang, war einfach zu schön – und gar nicht so abwegig: Sie war eindeutig nach der falschen mythologischen Gestalt benannt. Statt einer wetterwendischen, kapriziösen und verführerischen Muse war sie Athene, die Kriegsgöttin, die mit aller Entschlossenheit für ihre Überzeugungen kämpfte, seien sie nun richtig oder falsch.
    Athene – mit einer bestürzenden Traurigkeit im Blick.
    Weit vor sich sah er Mountbanks Kutsche. Dieser Schnösel: Sich so aufzuregen, nur weil ich mit Lady Emmeline Saunders getanzt habe, dachte Cameron. Es war doch offensichtlich, dass er nicht an ihr interessiert war. Sie war hübsch, eine interessante Gesprächspartnerin (im Gegensatz zu den meisten anderen höheren Töchtern) und offenbar auch humorvoll, obwohl sie Miss Chases Busenfreundin war. Aber wenn er sich mit ihr unterhielt, fehlte doch etwas.
    Etwas fehlte immer. Er verspürte eine Leere, die keiner seiner Zeitvertreibe – Clubs, Pferde, Frauen, sogar seine Studien – füllen konnte. Es kam ihm vor, als befinde sich in seiner Mitte ein kalter, hohler Raum, dessen Existenz er kaum je vergaß. Eigentlich nur während seiner Wortgefechte mit Calliope Chase …
    Kurz bevor er sein Haus erreichte, musste er die Pferde
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