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Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Titel: Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
Autoren: Alois Prinz
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den ganzen Aufwand übertrieben. Sie fühlt sich völlig wiederhergestellt. Früher, als ihr geraten wird, will sie das Krankenhaus verlassen und sie setzt sich auch durch. Sie bittet Mary, sie von Schottland abzuholen und nach London zu bringen. Von dort begleitet sie Elke Gilben, die Frau von Robert Gilben, in die Schweiz, nach Tegna. Hier will sie sich erholen und sie findet auch einen Arzt, der sie weitgehend in Ruhe lässt. »Sehr guter Arzt«, schreibt sie an Mary, »will mich alle zehn Tage untersuchen, ich solle mich weiter schonen, bis 1. Juli. Kein Einwand gegen mäßiges Rauchen, keine Diät – kurz, vergessen wir’s, abgesehen von den offensichtlichen Vorteilen.« 2
    Die offensichtlichen Vorteile sind, dass Hannah sich nun einen langen Urlaub gönnen kann. Wobei sie unter Urlaub nicht unbedingt Schonung versteht. Bereits nach wenigen Wochen in Tegna nimmt sie eine Reise nach Freiburg auf sich. Sie will unbedingt Martin Heidegger wieder sehen. Doch nicht nur die Reise, auch der Besuch in Freiburg wird für Hannah sehr anstrengend. Sie muss sich fürchterlich ärgern, weil Elfride Heidegger sie nicht mit ihrem Mann allein lassen will. Sie reglementiert strikt alle Besuche und schottet Heidegger zeitweise ganz von seiner Umgebung ab, angeblich, um ihn vor zu viel Aufregung zu schützen. Hannah, die immerhin gerade selbst einen Herzinfarkt hinter sich hat, kann das nicht einsehen und schließlich fährt sie verärgert und enttäuscht wieder nach Tegna zurück.
    Hannah Arendt ist mit Martin Heidegger noch nicht fertig. Angesichts der Macht, mit der es sie immer wieder nach Freiburg drängt, hat man den Eindruck, sie wolle ihm ein Geständnis abringen, von dem die Rechtfertigung ihres Lebens abhängt. Im Zusammenhang mit ihren Überlegungen zum »Wollen« plant Hannah Arendt wieder eine umfassende Kritik an Heidegger. Ausgangspunkt ist dabei dessen Haltung zum Phänomen des Willens.
    Nicht zuletzt unter dem Eindruck seiner politischen Verirrung fasst Heidegger den Willen ausschließlich als »Willen zur Macht« oder sogar »Willen zur Herrschaft« auf, der sich auf das Denken zerstörerisch auswirken müsse. Als angemessene Haltung für einen Denker hat er dagegen die »Gelassenheit« entdeckt. Diese zeige sich darin, dass man sich des Wollens entwöhnt und dankbar die Dinge sein lässt.
    Für Hannah Arendt ist dieser Rückzug auf ein »Seinlassen« typisch für Heideggers gesamte Philosophie. Sie entspricht seiner durchgängigen Trennung zwischen einem eigentlichen, verborgenen »Sein«, das unwandelbar über der Geschichte steht, und dem vordergründigen Bereich des »Seienden«, in dem der Einzelne in die Ereignisse des alltäglichen Lebens verstrickt ist. Die »laute«, widersprüchliche und veränderliche Welt ist nach dieser Auffassung nichts »als der Schaum dessen, was in Wahrheit ist«. 3
    Für Hannah Arendt verhält es sich gerade umgekehrt. Alles, was nur verborgen, innerlich und hintergründig ist, ist für sie so gut wie nicht vorhanden. Erst wenn es hervortritt, sich zeigt, öffentlich wird und Gestalt annimmt, erhält es Wirklichkeit. Darum ist sie auch der Meinung, dass das Innenleben bei allen Menschen ziemlich gleich sei. »In einem Wort«, so schreibt sie einmal in einem Brief an Mary McCarthy, »unsere Gefühle sind alle die gleichen, der Unterschied ist, worin und wie wir sie erscheinen lassen.«
    Weil nur das zählt, was erscheint, gibt es für Hannah Arendt auch kein eigentliches Leben hinter dem tatsächlichen. Als Mary McCarthy einmal darüber klagt, dass die Personen in ihren Romanen letztendlich immer davon begrenzt werden, was sie selbst erlebt hat und wie sie selbst erzogen worden ist, und zu der »schrecklichen Einsicht« kommt, »dass man sein Leben ist«, stimmt ihr Hannah ausdrücklich zu. »Ich habe immer geglaubt«, schreibt sie an Mary zurück, »dass ›man sein Leben ist‹.« 4
    Hannah Arendt nimmt nach ihrer Rückkehr aus Europa im August wieder ihr normales Leben auf. Sie Mit Vorträge, sie schreibt weiter an ihrem Buch über Das Leben des Geistes , sie führt ihre Freunde zum Essen in New Yorker Restaurants aus und sie besucht Mary McCarthy in Castine, um mit ihr den »Sturz Nixons« zu feiern. Der amerikanische Präsident ist wegen der so genannten »Watergate-Affäre« immer stärker unter Druck geraten und schließlich von seinem Amt zurückgetreten. Nixon wird von seinem Nachfolger Gerald F. Ford begnadigt und entgeht so einer Strafverfolgung.
    Anfang des neuen
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