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Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Titel: Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
Autoren: Alois Prinz
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Fanatismus im öffentlichen Leben schrecken sie ab. Im April ist Martin Luther King und im Juni der Bruder von John F. Kennedy, Robert Kennedy, ermordet worden. Der Vietnam-Krieg scheint außer Kontrolle zu geraten. Und dass Präsident Johnson auf eine erneute Kandidatur verzichtet und der neue Präsident wahrscheinlich Richard Nixon heißen wird, erfüllt Hannah auch nicht gerade mit Zuversicht. Vor allem aber stört sie, dass sie durch die Eichmann-Affäre so ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt worden ist. Das Leben in der Schweiz erscheint ihr dagegen wohltuend ruhig und anonym. »Der Hafen in der Schweiz«, schreibt sie aus New York an Mary McCarthy, »hat mehr mit dem Alter zu tun und dem Wunsch, weniger exponiert zu leben, als es hier möglich ist.« 7
    Anfang des Jahres 1969 wollen Hannah und Heinrich für ein paar Wochen in die Schweiz fahren, um sich »die Sache mal anzusehen«. Doch am 26. Februar bekommen sie ein Telegramm von Gertrud Jaspers: »Karl gestorben MEZ 13.43.«
    Hannah Arendt fliegt sofort nach Basel. Am 4. März 1969 findet eine öffentliche Gedenkfeier der Universität Basel für Karl Jaspers statt, auf der sie eine Ansprache hält, die sie mit den Sätzen schließt: »Das, was an einem Menschen das Flüchtigste und doch zugleich das Größte ist, das gesprochene Wort und die einmalige Gebärde, das stirbt mit ihm und das bedarf unser, dass wir seiner gedenken. Das Gedenken vollzieht sich im Umgang mit dem Toten, aus dem dann das Gespräch über ihn entspringt und wieder in die Welt klingt. Der Umgang mit den Toten – das will gelernt sein, und damit fangen wir jetzt an in der Gemeinsamkeit unserer Trauer.« 8
    Zum Umgang mit dem Toten gehört für Hannah auch, dass sie mehrere Monate Schwarz trägt. Dazu bindet sie sich oft Schals in leuchtenden Farben um. Sie weiß, dass Jaspers sich gewünscht hat, seine Frau solle auf der Beerdigung zum Trauerkleid einen großen weißen Kragen anziehen, zum Zeichen, dass sein Tod ein guter Tod sei.
    Hannah Arendt hält die Erinnerung an Karl Jaspers auch auf andere Weise aufrecht. Sie kümmert sich darum, dass seine Werke in den USA erscheinen. Und in ihren Seminaren und Vorlesungen regt sie ihre Studenten an, Bücher von Jaspers zu lesen.
    Nur für kurze Zeit kehrt sie nach New York zurück, um ihren Verpflichtungen an der »New School for Social Research«, wo sie seit einem Jahr lehrt, nachzugehen. Gleich nach Ende des Semesters wollen Heinrich und sie die geplante Reise in die Schweiz nachholen.
    Ende Mai 1969 reisen sie nach Locarno am Lago Maggiore. In Tegna, einem kleinen, malerischen Dorf oberhalb von Locarno mieten sie sich in einem Gasthof, der »Albergo Barbate.«, ein. Hier verbringen sie den ganzen Sommer bis zum August. »Es ist so schön und so ruhig hier«, schwärmt Hannah, »dass man die ganze Welt vergisst.« 9 Sie bekommen viel Besuch, unter anderem von Mary McCarthy und den Kindern von Hannahs israelischer Familie. Bevor sie wieder nach New York zurückfliegen, fahren sie gemeinsam zu den Heideggers nach Freiburg.
    Die Stimmung bei diesem Besuch ist herzlich und entspannt, auch wenn Elfride nun zwei Raucher ertragen muss. Die Heideggers planen, in ihrem Garten ein ebenerdiges, kleines Haus bauen zu lassen, um dem inzwischen gebrechlichen Martin das Treppensteigen zu ersparen. Um den Bau zu finanzieren, wollen sie das Manuskript von Sein und Zeit verkaufen. Elfride hat in dieser Sache Hannah schon im April um Rat gebeten und Hannah hat sich bei Fachleuten in Amerika erkundigt. 100 000 Mark will die Universität Texas für das Manuskript bezahlen.
    Martin Heidegger wird am 26. September achtzig Jahre alt. Seine Heimatgemeinde will den Geburtstag ihres berühmten Sohnes groß feiern. Zu diesem Anlass hat Martin Heideggers Bruder Fritz ein Büchlein verfasst. Heidegger schenkt dem Besuch ein Exemplar mit der Widmung: »Für Hannah und Heinrich – von Martin und Elfride.«
    Hannah Arendt hat Heidegger versprochen, für die Festschrift zu seinem achtzigsten Geburtstag einen Beitrag zu liefern. In New York macht sie sich gleich daran, den Aufsatz zu schreiben, der dann am Tag von Heideggers Geburtstag im Bayerischen Rundfunk gesendet wird. Der Aufsatz ist eine Hommage an ihren alten Lehrer, sie erwähnt darin aber auch Heideggers Verstrickungen in den Nationalsozialismus. Heidegger habe sich wie Platon auf die Politik eingelassen und Zuflucht zu Führern genommen, schreibt sie. Das sei eine Versuchung, der viele Denker erliegen, eine
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