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Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Titel: Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
Autoren: Alois Prinz
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Sie eine Konservative? Gehören Sie zu den Liberalen? Wo stehen Sie im Rahmen der gegenwärtigen Möglichkeiten?« Und Hannah Arendt antwortete: »Ich weiß nicht. Ich weiß es wirklich nicht und habe es nie gewusst.«
    Hanna Arendt wollte immer »ohne Geländer« denken. Das macht sie für viele »unentschuldbar unabhängig«. Und so ist es wirklich nicht leicht zu sagen, wer sie eigentlich war. Eine Dichterin? Eine Philosophin? Eine politische Denkerin? Sie selbst schreibt in einem Brief: »Ich fühle mich als das, was ich nun einmal bin, das Mädchen aus der Fremde.« *
    * Die Formulierung »das Mädchen aus der Fremde« bezieht sich auf das gleichnamige Gedicht von Friedrich Schiller. Es ist als Selbstcharakterisierung von Hannah Arendt sehr bezeichnend. Deshalb ist es am Ende dieses Buches vollständig wiedergegeben.

I.  Kindertagebuch
»Man muss an traurige Dinge so wenig wie möglich denken.«
    Eine glänzende Zukunft scheint zwei jungen Leuten bevorzustehen, die im Jahr 1902 heiraten. Paul Arendt und Martha Cohn stammen beide aus wohlhabenden jüdischen Familien, die schon seit Generationen in der ostpreußischen Stadt Königsberg ansässig sind. Paul Arendt ist neunundzwanzig und hat an der Königsberger Universität, der Albertina, ein Ingenieurstudium absolviert. Martha Cohn, achtundzwanzig, hat nach der Mädchenschule drei Jahre in Paris verbracht und dort Französisch und Musik studiert. Die Verbindung der beiden jungen Leute scheint ein Glücksfall zu sein. Nicht nur winkt ihnen ein finanziell sorgenfreies Leben, sie haben auch viele gemeinsame Interessen und teilen ihre Sympathie für sozialistische Ideen.
    Dennoch liegt über der Ehe ein Schatten. Paul Arendt hatte sich in jungen Jahren an Syphilis infiziert. Das ist zu dieser Zeit eine weit verbreitete Geschlechtskrankheit. Fast 20 von 100 Männern sind in Preußen davon betroffen und das Mittel dagegen, das so genannte Salvarsan, wird der deutsche Mediziner Paul Ehrlich erst 1906 entdecken.
    Paul Arendt musste sich noch nach herkömmlichen Methoden gegen seine Krankheit behandeln lassen, dabei verabreicht man dem Patienten Quecksilberpräparate oder man ruft ein Malariafieber bei ihm hervor. Aber Syphilis ist eine heimtückische Erkrankung. Sie kann nach einer ersten Phase über längere Zeit ruhen, um dann umso heftiger wieder auszubrechen, wobei schlimmstenfalls sogar Rückenmark und Gehirn zersetzt werden. Es kann aber auch sein, dass die Krankheit nach dem ersten Stadium von selbst und ohne Folgen wieder ausheilt.
    Die Behandlung bei Paul Arendt zeigte Erfolg. Die Symptome der Krankheit verschwanden gänzlich. Paul Arendt hatte guten Grund zu glauben, wieder völlig gesund zu sein, als er um die Hand der schönen Martha Cohn anhielt.
    Das junge Paar zieht zunächst nach Berlin und dann nach Hannover, wo Paul Arendt eine Stelle als Ingenieur bei einer Elektrizitätsgesellschaft gefunden hat. Sie beziehen ein geräumiges Haus im Vorort Linden. Martha Cohn, die nun Martha Arendt heißt, muss ihren Wunsch nach Kindern in den ersten Ehejahren noch zurückstellen. Zu groß scheint das Risiko, dass ihr Mann doch noch nicht gesund ist und ein Kind Schaden nehmen würde. Als sich bei Paul Arendt jedoch keinerlei Anzeichen der Krankheit mehr zeigen, fassen die beiden den Entschluss, eine Familie zu gründen.
    Am 14. Oktober 1906 bringt Martha Arendt ein Mädchen zur Welt. Es wird Johanna genannt, nach ihrer Großmutter väterlicherseits. Später werden sie alle nur noch Hannah nennen.
    Hannahs Mutter legt eine Art Tagebuch an, das sie mit Mein Kind überschreibt und in dem sie die Entwicklung ihrer Tochter sorgsam aufzeichnen will. Die erste Eintragung lautet: »Johanna Arendt wurde geboren am 14. Oktober 1906 um 9 1/4 Uhr abends, an einem Sonntage. Die Geburt hatte 22 Stunden gedauert und verlief normal. Das Kind wog 3695 gr.« 1
    Hannah Arendt wird in eine Zeit hineingeboren, die der Schriftsteller Stefan Zweig »das goldene Zeitalter der Sicherheit« nennt. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg und den Turbulenzen der Reichsgründung von 1870/71 sind in Deutschland ruhigere politische Verhältnisse eingekehrt. Die Ära Bismarck ist vorbei, der Eiserne Kanzler, wie man ihn genannt hat, ist 1898 gestorben. Kaiser ist jetzt Wilhelm II., der sich weniger durch seine politischen Fähigkeiten auszeichnet als durch seine Vorliebe für prahlerische militärische Auftritte. Dass die Menschen trotz einer gewissen Politikverdrossenheit von einer euphorischen
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