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Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Titel: Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
Autoren: Alois Prinz
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»deformation professionnelle«. Was sie mit dieser Berufskrankheit meint, das spricht sie deutlich in einer später hinzugefügten Anmerkung aus. Der entscheidende »Irrtum« Heideggers habe darin bestanden, »der Wirklichkeit in den Gestapokellern und den Folterhöllen der Konzentrationslager, die unmittelbar nach dem Reichstagsbrand entstanden, in angeblich bedeutendere Regionen auszuweichen«. 10
    Den Sommer 1970 verbringen Hannah Arendt und Heinrich Blücher wieder in dem kleinen Dorf Tegna am Lago Maggiore. Hannah wünscht sich, sie könnte monatelang in diesem Paradies bleiben: »[...] keine Vorlesungen, keine Verpflichtungen, kein Haushalt. Und, bitte, ein bisschen Langeweile – Langeweile in kleinen Dosen ist so gesund.« Zusammen mit Heinrich unternimmt sie Ausflüge an den Comer See. Und manchmal fahren sie mit dem kleinen Zug, den Hannah »Bimmel-Bammel« nennt, nach Locarno, um Robert Gilbert zu besuchen. Im September holen die Verpflichtungen Hannah doch wieder ein und sie und Heinrich müssen zurück nach New York.
    Am 30. Oktober hält Hannah einen Vortrag in der »New School« über das Thema Denken und moralische Erwägungen. Anschließend laden sie noch Glenn Gray zu sich nach Hause ein. Heinrich ist bester Stimmung und lässt sich seinen Whiskey schmecken.
    Am nächsten Morgen beim Frühstück wird ihm plötzlich übel und er muss sich auf die Couch legen. Er hat einen Herzinfarkt. Hannah ruft sofort den Notarzt. Doch Heinrich scheint zu wissen, dass ihm niemand mehr helfen kann. Er nimmt Hannahs Hand und sagt ihr leise: »Das war’s.«
    Heinrich Blücher stirbt noch am Abend im Mount Sinai Hospital. Hannah ruft einen Freund an und lässt sich von ihm zusammen mit dem toten Heinrich fotografieren.
    Die Trauerfeier für Heinrich Blücher findet am 4. November 1970 in der Riverside Memorial Chapel statt. Hannah Arendt lässt die jüdische Trauerliturgie, das Kaddisch, beten. Ihr gefällt, wie der Tod in diesen Gebeten gesehen wird. »Beklage dich nicht«, so umschreibt sie diese Vorstellung, »wenn etwas genommen wird, das dir gegeben war, das du aber nicht notwendigerweise besaßest. Und vergiss nicht, um genommen zu werden, musste es erst gegeben werden. Wenn du zu besitzen glaubtest, wenn du vergessen hast, dass es gegeben war, dann ist es eben schlimm für dich.« 11
    Heinrich Blücher wird auf dem kleinen Friedhof des Bard College beigesetzt. Der Friedhof ist ein Stück Wald. Die Grabstellen sind keine richtigen Gräber, sondern nur verstreut liegende Gedenksteine. »Sehr gut, sehr richtig«, meint Hannah.
    Am Tag nach Heinrichs Tod hatten sich viele Freunde in der Wohnung am Riverside Drive versammelt. Unter ihnen auch Mary McCarthy, die aus Paris angereist war. Hannah war ratlos. Sie fragte in die Runde: »Wie soll ich jetzt leben?«

XXII. Lichter über dem Fluss
»Ich habe immer geglaubt, dass man sein Leben
ist

    Ende April 1974 reist Hannah Arendt wieder nach Aberdeen, um die zweite Reihe von Vorlesungen im Rahmen der »Gifford Lectures« zu halten. Diesmal zum Thema Das Wollen. Doch Hannah wird ihre Vorträge nicht zu Ende halten können. Am S. Mai, frühmorgens, erleidet sie auf ihrem Hotelzimmer einen Herzinfarkt. Sie hat noch so viel Kraft, William Janavich, ihren Verleger, der nach Aberdeen gekommen ist und im gleichen Hotel wohnt, per Telefon zu rufen. Der eilt sofort in ihr Zimmer. Janovich, der selbst seit langer Zeit herzkrank ist, gibt ihr in der Not von seinen Tabletten. Das rettet Hannah wahrscheinlich das Leben.
    Im Krankenhaus wird sie auf der Intensivstation sofort unter ein Sauerstoffzelt gelegt. Mary McCarthy kommt aus Paris nach Aberdeen, um bei Hannah zu sein. Doch Mary kann nicht lange bleiben. Wieder zurück in Paris schreibt sie Hannah einen mahnenden Brief, weil sie befürchtet, dass sie eine sehr unvernünftige Patientin sein wird. In Anspielung auf ihr Vorlesungsthema meint sie, Hannah solle doch nun ihren »Willen auf Genesung statt auf Widerstand« richten und auf die Ratschläge der Ärzte hören: »Kein Arzt, nehme ich an, würde ein hektisches Leben, zwei Päckchen Zigaretten am Tag und Herumlaufen, während man schwere Gegenstände trägt, empfehlen.« 1
    Marys Ermahnungen haben keine große Wirkung. Kaum darf Hannah aus dem Sauerstoffzelt, raucht sie wieder, und unter ihrer Widerspenstigkeit leidet das ganze Krankenhauspersonal. Die von ihrem Arzt verschriebenen Pillen setzt sie eigenmächtig wieder ab, weil ihr davon übel wird. Ohnehin findet sie
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