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Bertrams Hotel

Bertrams Hotel

Titel: Bertrams Hotel
Autoren: Agatha Christie
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hieß, sie habe sechs Kerben auf dem Griff ihres Revolvers. Vor Jahren hatte sie im Alleinflug den Atlantik überquert und hoch zu Pferd Europa durchmessen – bis zum Van-See. Sie hatte Rennwagen gefahren und einmal zwei Kinder aus einem brennenden Haus gerettet. Sie war mehrere rühmliche und weniger rühmliche Ehen eingegangen, und sie stand auf der Liste der bestgekleideten Frauen Europas. Auch wurde behauptet, sie habe sich an Bord eines Atomunterseebootes geschmuggelt und dessen Probefahrt mitgemacht.
    Miss Marple richtete sich daher sehr interessiert auf und sah zu ihr hinüber.
    Was sie auch von Bertrams Hotel erwartet haben mochte, sie hatte gewiss nicht damit gerechnet, Bess Sedgwick unter den Gästen zu finden. Ein teurer Nachtklub oder ein Rasthaus für Lastwagenfahrer, gar eine Spelunke in Soho – so etwas hätte durchaus Bess Sedgwick vielseitigen Neigungen entsprochen. Aber in diesem höchst biederen, altmodischen Hotel schien sie merkwürdig fehl am Platz.
    Dennoch war sie hier – darüber bestand kein Zweifel. Es verging kaum ein Monat, ohne dass Bess Sedgwicks Gesicht in den Modezeitschriften oder Boulevardblättern erschien. Da saß sie höchstpersönlich und rauchte mit hastigen, ungeduldigen Zügen eine Zigarette, während sie fast erstaunt auf das große vor ihr stehende Teetablett starrte. Was hatte sie bestellt? Miss Marple kniff die Augen zusammen und blickte scharf hin – der Tisch war ziemlich weit entfernt – ja, es waren Krapfen. Sehr interessant.
    Während Miss Marple sie beobachtete, drückte Bess Sedgwick ihre Zigarette in der Untertasse aus, griff nach einem Krapfen und biss kräftig hinein. Tiefrote, echte Erdbeermarmelade quoll heraus und lief ihr über das Kinn. Bess warf den Kopf in den Nacken und lachte – eines der lautesten und heitersten Geräusche, die man seit geraumer Zeit in der Halle von Bertrams Hotel gehört hatte.
    Henry stand sofort bereit und reichte ihr eine kleine, zierliche Serviette. Bess nahm sie, rieb sich energisch wie ein Schuljunge das Kinn ab und rief: »Das nenne ich einen echten Krapfen. Prachtvoll.«
    Sie ließ die Serviette auf das Tablett fallen und stand auf. Wie üblich waren aller Augen auf sie gerichtet. Daran war sie gewöhnt. Vielleicht gefiel es ihr, vielleicht bemerkte sie es auch gar nicht mehr. Es lohnte sich, ihr nachzusehen – sie war eher eine auffallende Erscheinung als eine schöne Frau. Das platinblonde Haar fiel ihr glatt und glänzend bis auf die Schultern. Kopf und Gesicht waren klassisch geschnitten, ihre Nase leicht gebogen, und sie hatte tief liegende graue Augen. Ihr breiter Mund verriet das heitere Naturell. Ihr Kleid war so verblüffend einfach, dass die meisten Männer stutzten. Es wirkte wie grobe Sackleinwand, hatte keinerlei Verzierungen und keine sichtbaren Verschlüsse oder Nähte. Die Frauen im Bertrams jedoch erkannten sofort, dass es ein Heidengeld gekostet hatte.
    Als sie mit großen Schritten durch die Halle auf den Lift zustrebte, kam sie dicht an Lady Selina und Miss Marple vorbei und nickte Lady Selina zu.
    »Guten Tag, Lady Selina. Habe Sie seit Crufts Hundeschau nicht mehr gesehen. Was machen die Barsois?«
    »Was in aller Welt tun Sie denn hier, Bess?«
    »Habe mir hier ein Zimmer genommen. Ich bin gerade von Land’s End hergefahren. In drei viertel Stunden. Nicht übel.«
    »Sie werden sich eines Tages noch umbringen. Oder jemanden anders.«
    »Oh, hoffentlich nicht.«
    »Aber warum wohnen Sie in diesem Hotel?«
    Bess Sedgwick schien den Sinn der Frage zu verstehen und quittierte sie mit einem ironischen Lächeln.
    »Jemand empfahl es mir, und ich glaube, der Rat war gut. Ich habe gerade den wunderbarsten Krapfen verzehrt.«
    »Liebes Kind, sie haben auch richtige Muffins.«
    »Muffins«, wiederholte Lady Sedgwick nachdenklich. »Ach… Muffins!«
    Sie nickte und ging weiter zum Lift.
    »Ungewöhnliches Mädchen«, bemerkte Lady Selina. Für sie, wie auch für Miss Marple, war jede Frau unter sechzig ein Mädchen. »Habe sie schon als Kind gekannt. Niemand konnte etwas mit ihr anfangen. Lief mit einem irischen Reitknecht davon, als sie sechzehn war. Es gelang ihnen, sie rechtzeitig zurückzuholen – oder vielleicht auch nicht rechtzeitig. Jedenfalls haben sie ihm eine Abfindung gezahlt und sie sicher verheiratet, mit dem alten Coniston – dreißig Jahre älter als sie, grässlicher Wüstling und ganz verrückt nach ihr. Das hat nicht lange gehalten. Sie brannte mit Johnnie Sedgwick durch. Das wäre
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