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Bertrams Hotel

Bertrams Hotel

Titel: Bertrams Hotel
Autoren: Agatha Christie
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und wieder schenkte und von denen sie erklärte, sie seien »sehr interessant«, in Wirklichkeit gar nicht gelesen hatte. Aber das war wohl darauf zurückzuführen, dass ihre Augen nachließen.
    Diese Vermutung war allerdings ein gewaltiger Irrtum. Miss Marple besaß eine für ihr Alter bewundernswerte Sehschärfe und nahm in diesem Augenblick alles, was um sie vorging, mit wachem Interesse und großem Vergnügen wahr.
    Als Joan ihr einen mehrwöchigen Aufenthalt in einem der besten Hotels in Bournemouth anbot, hatte sie zögernd gemurmelt: »Das ist sehr, sehr freundlich von dir, mein liebes Kind, aber ich glaube wirklich nicht…«
    »Es würde dir so gut tun, Tante Jane. Man muss hin und wieder mal aus seinen vier Wänden heraus. Das gibt einem neue Ideen.«
    »O ja, da hast du ganz sicher Recht; ich möchte wirklich gern mal wieder wegfahren. Aber vielleicht nicht gerade nach Bournemouth.«
    Joan war ein wenig überrascht. Sie hatte wohl angenommen, Bournemouth sei Tante Janes Wunschtraum.
    »Dann vielleicht Eastbourne? Oder Torquay?«
    »Was ich wirklich möchte…« Miss Marple zögerte.
    »Ja?«
    »Du wirst es sicher für recht töricht von mir halten.«
    »Nein, ganz gewiss nicht.«
    »Ich würde gern nach London fahren und in Bertrams Hotel wohnen.«
    »Bertrams Hotel?« Der Name kam ihr bekannt vor.
    Die Worte sprudelten förmlich aus Miss Marple hervor.
    »Ich war einmal dort – als ich vierzehn war. Mit meiner Tante und meinem Onkel. Onkel Thomas nämlich, er war Stiftsherr von Ely. Und ich habe es nie vergessen. Wenn ich dort noch einmal hin könnte… eine Woche würde völlig ausreichen – zwei Wochen wären vielleicht zu kostspielig.«
    »Oh, darüber mach dir nur keine Gedanken. Natürlich sollst du hinfahren. Ich hätte es mir eigentlich denken können, dass du gern London besuchen würdest – die Läden und alles. Wir werden ein Zimmer bestellen – wenn Bertrams Hotel noch existiert. So viele Hotels sind ja verschwunden, entweder wurden sie im Krieg ausgebombt oder einfach geschlossen.«
    »Nein, ich weiß zufällig, dass dieses Hotel noch in Betrieb ist. Ich habe einen Brief von dort bekommen – von meiner amerikanischen Freundin Amy McAllister aus Boston. Sie und ihr Mann hatten im Bertrams logiert.«
    »Gut, dann werde ich alles Nötige veranlassen.« Sanft fügte sie hinzu: »Ich fürchte nur, du wirst das Hotel sehr verändert finden seit jenen Tagen. Hoffentlich bist du nicht zu sehr enttäuscht.«
    Doch Bertrams Hotel hatte sich nicht verändert. Es war noch genauso wie früher. Fast ein Wunder, dachte Miss Marple. Tatsächlich kam es ihr etwas merkwürdig vor…
    Es schien wirklich zu schön, um wahr zu sein. Jetzt, als sie so dasaß, lebte auf seltsame Weise ihre Jugend wieder auf – Jane Marple, dieses lebenslustige junge Mädchen mit dem rosigen Teint… ein ziemlich törichtes Geschöpf in vieler Beziehung… ach, wer war denn noch gleich der recht unpassende junge Mann, dessen Name – oh, du liebe Güte, sie konnte sich nicht einmal mehr darauf besinnen! Wie weise von ihrer Mutter, dass sie diese Freundschaft so entschlossen im Keim erstickt hatte. Jahre später war sie ihm wieder begegnet – und er war wirklich ganz schrecklich! Damals aber hatte sie sich mindestens eine Woche lang jeden Abend in den Schlaf geweint!
    Heutzutage natürlich – ihre Gedanken wandten sich der Gegenwart zu. Diese armen jungen Dinger. Manche von ihnen hatten zwar Mütter, aber selten solche, die etwas taugten – Mütter, die völlig unfähig waren, ihre Töchter vor törichten Affären, unehelichen Kindern und frühen, unheilvollen Ehen zu bewahren. Es war alles sehr traurig.
    Die Stimme ihrer Freundin unterbrach diese Betrachtungen.
    »Nun, da hört sich doch alles auf! Da drüben sitzt – ja, tatsächlich – Bess Sedgwick! Ausgerechnet hier…«
    Miss Marple hatte nur mit halbem Ohr auf Lady Selinas Bemerkungen über ihre Umgebung gehört. Da sie und Miss Marple in ganz verschiedenen Kreisen verkehrten, war Miss Marple nicht in der Lage gewesen, skandalöse Gerüchte über die verschiedenen Freunde und Bekannten auszutauschen, die Lady Selina angeblich erkannte.
    Aber Bess Sedgwick – das war ein Name, der fast jedem in England ein Begriff war. Über dreißig Jahre lang hatte nun die Presse über diese oder jene unerhörte oder außergewöhnliche Leistung berichtet, die Bess Sedgwick vollbracht hatte. Während des Krieges war sie in der französischen Widerstandsbewegung gewesen, und es
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