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Berlin Gothic: Thriller

Berlin Gothic: Thriller

Titel: Berlin Gothic: Thriller
Autoren: Jonas Winner
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Bentheim würde ihn ja doch nicht verstehen.
    „Was dann?“
    „Es ist was passiert.“ Tills Stimme war kaum noch zu hören. „Ich will nicht darüber reden.“
    Er hörte, wie Bentheim aufstand, sah, wie der schwarze Umriss vor ihm wuchs.
    „Ich bring dich morgen zurück.“
    Till nickte. Er wusste, dass Max’ Vater seinen Kopf nicht sehen konnte, aber er hatte keine Kraft mehr zu antworten.
    „Okay?“
    Okay - wollte er sagen - aber aus seinem Mund kam etwas anderes. „Mein Bruder, er hat sich erhängt.“
    Er hörte, wie Bentheim ruckartig Luft holte.
    „Er war auch in dem Heim, im Stock über mir. Ich habe ihn … er war mein Bruder, ich hab ihn lieb gehabt.“
    „Hast du es gesehen?“ Die Stimme des Mannes war leise geworden.
    „Ich habe ihn gefunden. Er hat es im Sitzen gemacht. Am Heizungsrohr, wissen Sie.“ Ungehindert strömten die Bilder auf Till ein, die er so lange ausgesperrt hatte. Er sah die Tür vor sich, die zu Armins Zimmer führte, sah wie seine Hand sie aufdrückte, sah sich mit den schwankenden Schritten eines Riesen ins Zimmer wanken, den Blick auf und nieder schaukeln als wäre er auf hoher See - bis er auf eine Gestalt fiel, die auf dem Boden vor der Heizung lag, eine Gestalt, die Till nur zu gut kannte, so aber noch nie gesehen hatte. Die Gestalt seines Bruders, der den Kopf auf die Brust hatte sinken lassen, die Arme auf dem Boden, die Hände mit dem Rücken auf dem Linoleum, dass die Handflächen nach oben schauten.
    „Deshalb bist du weggerannt.“
    „Ich hatte ihnen gesagt, dass sie sich um ihn kümmern müssen. Sie haben ihn einfach sich selbst überlassen.“
    Till blickte nach oben - und fuhr zusammen. Bentheim war neben die Tür des Schuppens getreten - sein Gesicht lag nicht mehr im Dunkeln, seine Züge wurden vom fahlen Schein der Nacht unmerklich erhellt. Till erwartete fast, dass er sie jetzt sehen konnte, die Wellenbewegungen unter der Haut, die wabernden, gallertartigen Augen. Stattdessen aber sah er Bentheims Gesicht so durch die Dunkelheit schimmern, wie er es kennengelernt hatte: Dünnhäutig, blass, länglich und fein geschnitten. Es wirkte müde - als ob eine große Anstrengung durch ihn hindurch gegangen wäre. Aber die Haut war straff über die Knochen gespannt.
    „Es gibt also niemanden, der sich um dich kümmern kann.“
    Till sah, wie Bentheims Augen sich auf ihn richteten. „Ich komm schon klar“, sagte er.
    Der Mann vor ihm schwieg. Er schien nachzudenken. Dann drang seine Stimme erneut durch das Dunkel. „Vielleicht sollte ich dich morgen früh doch nicht gleich wieder zurückbringen.“
    Till stutzte. Wie - nicht?
    „Es gibt ja keinen Grund zur Eile. Oder?“
    Till hörte nur das Pochen seines Herzens.
    „Wir haben gleich neben Max’ Zimmer noch einen Raum, den eigentlich niemand benutzt. Hat er dir den mal gezeigt?“
    Tills Herz schlug nicht in seiner Brust, es schlug in seinem Hals.
    „Vielleicht kannst du dort erstmal ein paar Tage bleiben.“
    Jetzt war es Angst, was Till beschlich, Angst, dass er sich täuschte, dass Bentheim gleich wieder zurücknehmen könnte, was er eben gesagt hatte …
    „Wir müssen sehen, was wir machen - aber erstmal … ich meine, wäre das denn okay für dich, Till?“
    „Ja“, hörte Till sich rufen, „ja - “ Er sprang auf. Stürzte zu dem Mann an der Tür. „Sie meinen, ich kann erstmal dort wohnen. In dem Zimmer bei Max?“
    „Ihr versteht euch doch, oder?“
    „JA! Klar!“
    „Dann versuchen wir das doch. Ich spreche mit den Behörden. Bis die Sommerferien vorbei sind, haben wir vielleicht eine bessere Lösung gefunden, als dich einfach dorthin wieder zurückzuschicken, wo du hergekommen bist.“
    Till schnappte nach Luft. Er blieb hier?!
    „Schlaf jetzt, morgen richten wir das Zimmer für dich ein.“ Und damit ließ ihn Bentheim allein.
    Als würde er schweben, wankte Till zu seiner Luftmatratze, zog die Decke über sich und starrte in das Dunkel des Schuppens. Er blieb hier, bei Max … bei Lisa …
    … und …
    Es war, als würde eine entfernte Stimme einen weiteren Namen hinzufügen.
    … und bei Bentheim.
    Für einen Sekundenbruchteil sah Till Bentheim sich zum Spiegel umwenden und die Wellen studieren, die unter seiner Haut über seinen Körper hinwegrasten. Seine Augen, die in ihren Höhlen auf- und niedertanzten, bevor sie sich – und hier flossen die Worte, die Erinnerungen und das, was Till vorhin tatsächlich erlebt hatte, zu einem unentwirrbaren Gemenge zusammen – bevor sich
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