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Berlin Gothic: Thriller

Berlin Gothic: Thriller

Titel: Berlin Gothic: Thriller
Autoren: Jonas Winner
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nur auf meinen Oberkörper, meine Brust und den Rücken beschränkt ist, sondern längst darüberhinauswuchert, sich an meinem Hals entlang fortsetzt, meine Ohren umspült, die Haare auf- und abwandern lässt, ja sich auch auf die Stirn erstreckt, den Nasenrücken hinuntertropft, die Lider untergräbt. Selbst mein Blick scheint schon all seine Festigkeit eingebüßt zu haben, scheint zu etwas Schwammigen, Schwankenden geworden zu sein. Ein Blick - und als ich das im Spiegel sehe, presse ich eine Faust zwischen die Zähne, um nicht aufzuschreien –, der in sich selbst zu fließen beginnt, als die Wellen die Pupillen erreichen und sie durchsichtig durchziehen wie gallertartige Regenwürmer, die die Augäpfel in den Höhlen auf- und abwandern lassen.“
    Bentheim hielt inne und starrte auf die Papiere auf seinem Schoß. Einen Augenblick lang saß er reglos da, dann ließ er sich langsam in seinen Sessel zurücksinken. Unwillkürlich richtete sich Till noch ein wenig mehr auf, suchte Bentheims Gesicht, das bisher über die Seiten gebeugt gewesen war, nach den Wellen ab, von denen Max‘ Vater eben gelesen hatte. Aber der Mann war zu weit von ihm entfernt. Ob seine Haut von Bohnen oder mausgroßen Wellen durchpflügt wurde, konnte Till nicht erkennen. Da hob Bentheim langsam den Blick.
    Instinktiv schaute Till an sich herab. Er lag auf dem Bauch, hatte sich mit den Händen jedoch emporgestützt. Der Lichtschein! Das Licht, das durch die Glastür fiel, reichte bis zu ihm nach draußen!
    Lautlos ließ sich Till in das Gras fallen und presste sein Gesicht in die Halme. Erdiger, modriger Geruch stieg zu ihm auf. Er wagte es nicht zu atmen.
    „Ich gehe auf die Knie und schlinge die Arme um meinen Körper, als wollte ich durch ihren Druck das Flirren und Surren unter der Haut einfach wegpressen“, hörte er die Stimme wieder einsetzen. „Aber die Wellen und Ausbuchtungen laufen an meinen Armen entlang, fast kommt es mir so vor, als würde die Höhe der Erhebungen noch wachsen, als würden die Tierchen nicht mehr nur krabbeln, sondern schon springen. Ein Ziepen und Zerren, das mit heftigen Schmerzen einhergeht, ein Springen und Hüpfen, das mich an den Rand meiner Kräfte zu bringen scheint, denn ich sehe im Spiegel, wie ich zu zittern begonnen habe, den Kopf jetzt tief zwischen die Schultern herabgezogen, die Füße am Ende der angewinkelten Beine übereinander geschlagen. Mit der Langsamkeit eines fallenden Baumes sinke ich auf die Seite, die Beine krampfhaft zum Bauch gezogen, das Kinn auf die Brust gepresst. Spitz steht der Nacken hervor, aus dem stoßweisen Ächzen ist ein flaches Hecheln geworden. Ich biege den Kopf zurück und das Gesicht, das mich aus dem Spiegel heraus anstarrt, ist grau und müde. Es wogt und wabert und ist von einer tanzenden, leblosen und doch hektischen Bewegtheit entstellt. Hohl und schmerzverzerrt sehen meine Augen mich an, durchzogen von einem Krabbeln, das aus ihnen zwei Quallen macht, ein Wackeln, ein Gelee. Im gleichen Moment sehe ich, wie mein Mund, dessen Lippen ebenfalls von den Wellen durchpocht werden, sich langsam öffnet, als wollte ich lachen über die hoffnungslose Überwältigung, der ich unterworfen bin. Aber es ist kein Lachen, das hervorströmt, es ist ein Ächzen, Stöhnen und Krächzen, das sich jetzt hundert-, hunderttausendfach verstärkt, während sich mein Mund weiter aufspannt. Schon scheint es, als würden die Lippen auseinanderreißen, weil mein Maul, mein Rachen immer weiter und weiter noch sich aufsperrt, bis er mich wie ein entsetzlicher Schlund aus dem Spiegel heraus anglotzt. Ein Abgrund, aus dem mit scharfem Lufthauch stoßweise das Stöhnen herausschlägt, ein Stöhnen, das herrühren muss von meinen Schmerzen und der Anstrengung, die es meinem Körper bereitet, den Mund auf so grauenhafte Weise aufzureißen. Ein Krater, der nur noch einen Zweck zu haben scheint, und zwar den, mich selbst zu verschlingen, mich selbst aus dem Raum, in dem ich liege, herauszusaugen – sodass ich mit der Hilflosigkeit eines von Angst gelähmten Kindes die Arme vors Gesicht schlage, bereit, hindurchgewürgt zu werden durch diesen Schlauch, der sich vor mir auftut … “
    Wieder brach die Stimme ab. Till hörte das Papier rascheln, dann die kurzen Beine des Sessels über den Holzboden schaben.
    Schritte.
    Erschrocken schob er die Hände über seinen Hinterkopf. Wieso war er immer noch hier?! Wie hatte er es nur versäumen können, sich zurückzuziehen, während Bentheim in seinem
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