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Berlin Gothic 4: Der Versteckte Wille

Berlin Gothic 4: Der Versteckte Wille

Titel: Berlin Gothic 4: Der Versteckte Wille
Autoren: Jonas Winner
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ihr, mehr darf sie nicht wissen.
    „Henning ist nicht so, Betty. Sei froh.“ Lisa zwang sich, die Gedanken an Felix, die ihr geradezu die Luft abschnürten, von sich wegzudrücken.
    „Ist es nicht auch schön?“ Betty hielt den Blumenstrauß vor ihr Gesicht, als wollte sie auf diese Weise dafür sorgen, dass niemand sie hörte. „Das ist es doch … auch, oder? Sonst hättest du ihn doch längst verlassen.“
    Schön? Es war so schön wie ein Sturz aus dem Himmel auf die Erde, so schön wie von einer turmhohen Welle überspült zu werden, so schön wie die Sicherheit, dass man sterben muss. So schön, dass Lisa jedesmal das Gefühl hatte, sie würde vergehen, wenn er sie in seinen Wahn, seine Ausfälle mitriss, wenn er mit ihr durch die Nacht tobte. So schön, dass sie danach meistens eine Woche lang nicht aus dem Bett kam. So schön, dass sie sich manchmal fragte, was sie dafür geben würde, um einen Weg heraus zu finden aus ihrem Verhältnis mit Felix. Und doch stimmte es: Sie kam nicht von ihm los.
    Lisa schüttelte den Kopf und sah ihrer Schwester in die Augen. „Nein, Betty, schön ist es nicht.“
    „Und warum verlässt du ihn dann nicht?“
    Weil ich nicht kann, hörte Lisa sich sagen - aber das sprach sie nicht aus. Stattdessen streckte sie Betty die Hand hin. „Also was ist? Hast du es dir überlegt?“
    Betty lächelte. Erleichtert stellte Lisa fest, dass ihre Schwester ihr altes Selbstvertrauen wiedergefunden zu haben schien.
    „Ich mach‘s!“ Betty lachte und stand auf. „Ist das nicht Wahnsinn?“
    Sie fielen sich in den Arm. Ja, das ist es, dachte Lisa und plötzlich wusste sie, warum sie den ganzen Morgen über schon so nervös gewesen war. Nicht, weil sie ihre Rede noch nicht fertig hatte. Sondern weil sie immer noch nicht wusste, ob er kommen würde.
    Till.
    Der auf ihren Brief nie geantwortet hatte.

3
     
    Heute
     
    Die rechte Schulter des Mannes steht spitz nach oben. Er hat den Mantel noch an, aber der Stoff hat sich unter seinen Beinen verdreht.
    Als Butz die emporragende Schulter berührt, kommt der hagere Körper ins Rutschen, sackt auf den Rücken. Einer der maßgefertigten englischen Halbschuhe, auf die Butz‘ Assistent immer so stolz war, hat sich an der Ferse vom Fuß gelöst, hängt aber noch an den Zehen. Die Beine sind überkreuzt, die Arme liegen halb ausgestreckt auf dem Boden.
    Michas Augen sind geöffnet, sein Blick zielt über Butz‘ Scheitel hinweg an die Decke. Der Kiefer bleibt aufgesperrt, die sonst so markante Kinnpartie ist erschlafft.
    Das Projektil ist auf den Wangenknochen aufgetroffen, hat ihn zerschmettert und die Rachenhöhle dahinter aufgerissen.
    Butz hört sich ausatmen.
    Jedes Luftholen scheint fünf Minuten zu dauern.
    In seinem Kopf schießen Gedanken wie Feuerwerkskörper in den Nachthimmel, verglühen.
    Keiner bleibt, keiner rastet ein.
    Instinktiv packt Butz den Mantelkragen seines Assistenten, zieht ihn hoch, als könnte er ihn aufrichten.
    Ausatmen.
    Einatmen.
    Das Foto -
    Das Foto, das Micha ihm geschickt hat.
    Butz sieht es vor sich.
    Ein Schlafzimmer …
    Sein Blick tastet durch die Türöffnung, vor der Michas Leiche liegt.
    Ausatmen.
    Einatmen.
    Vorsichtig lässt er den leblosen Körper zurück auf den Boden sinken.
    Im Nebenraum liegt der Nächste.
    Ein Kollege von der Kriminaltechnik.
    Eine Kugel hat ihn in die Stirn getroffen, seinen Kopf und Körper nach hinten gerissen. Der Mann ist rücklings auf den niedrigen Glastisch gestürzt, der vor dem Fernseher steht, und darauf liegen geblieben - die Beine eingeknickt, die Füße haltlos auf dem billigen Teppich.
    Butz‘ Schädel knistert.
    Der Atem dröhnt in seinen Ohren.
    Ist er noch hier?
    Derjenige, der geschossen hat.
    Ausatmen.
    Einatmen.
    Das Fenster in dem Raum, in dem der Kriminaltechniker liegt, ist geöffnet. Aus dem Hinterhof dringen die Geräusche der Nachbarn herauf. Eine Weinflasche wird entkorkt. Frauenstimmen, die sich unterhalten.
    Klatschnass klebt das Hemd zwischen Butz‘ Schulterblättern. Seine Hand fährt lautlos an seine Achsel, zieht die Waffe aus dem Holster. Kalt schmiegt sich der aufgeraute Griff an seine Handfläche.
    Butz bleibt in geduckter Stellung hocken. Er will lauschen - aber seine Sinne scheinen jedes Geräusch nur grotesk übersteigert wahrnehmen zu können.
    Das Klappern eines Fensterflügels im Hinterhof. Das Fallen eines Blutstropfens vom Glastisch in die schwarzrote Pfütze auf dem Teppich.
    Und …
    Es ist nicht in seinem
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