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Berlin blutrot

Berlin blutrot

Titel: Berlin blutrot
Autoren: u.a. Sebastian Fitzek
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Leben.“
    Ich nickte. Allmählich verstanden wir uns, mein Psychiater und ich. „Aus ihrem und meinem.“ Ich lachte.
    „Warum?“
    „Darum.“
    Er schwieg, die Brauen gerunzelt, jetzt sah er fast ein bisschen streng aus.
    Scheiß drauf, dachte ich, er landet sowieso im Klo. „Es gab Probleme. Verrat. Standesehre. Kausale Zusammenhänge. Bist du einer von uns, hältst du das Maul. Verpfeifst du einen von uns, wirst du ausgeknipst.“
    „Entfernt."
    „Yup.“
    Mein Psychiater nickte und klappte das Notizbuch zusammen.
    Auf seiner Stirn stand Schweiß, als hätte er eine Nachtschicht in der Kohlegrube hinter sich.
    „Problem gelöst?“
    Er lächelte erschöpft. „Sitzung beendet.“
    Drei Minuten später stand ich im Menschenverhau der Bergmannstraße, löste mich inmitten von Touristen, Durchgeknallten, Schnöseln und Antiquitätentürken in Luft auf.
    In der Marheineke-Halle aufs Klo, Schnurrbart dran, Perücke auf, ein Blick in den Spiegel. Es dauerte einen Moment, bis ich mich erkannte, der Name zu dem Schnurrbartanatolen der zweiten Generation fiel mir allerdings nicht ein.
    Zu Fuß ging ich zum Cottbusser Tor, drei Stunden für drei Kilometer, wegen der Haken und Umwege. Eiserne Regel: eine Stunde pro Kilometer. Kein Rat von Holg, deswegen funktionierte es. Sechzehn Jahre in diesem Job, da weiß man, wie man unsichtbar bleibt.
    Vor dem Klingelschild in der Naunynstraße fiel mir mein Türkenname wieder ein: Hakan Özdemir, Sohn von Murat und Ayse, aber die war im Kindbett gestorben.
    Als ich am nächsten Morgen erwachte, war mir der Name wieder entfallen.
    Im Karstadt am Hermannplatz aufs Klo, von dort als Thilo Müller ins Untergeschoss, ein Steak einschmeißen. Beim dritten Bissen erinnerte ich mich daran, dass Thilo Müller der beschissene Veganer unter meinen Tarnidentitäten war. Wieder aufs Klo, Steak rausgekotzt. Rauf zum Prenzlauer Berg, wo ich am Nachmittag ankam, ab ins Bett, dem Müller war noch schlecht vom Steak. Früh am nächsten Morgen Dauerlauf nach Kreuzberg, um fit zu bleiben, eine Stunde Schwimmbad in der Baerwaldstraße, als Späthippi Albert Irgendwas im Batikshirt rausgeschlurft, auf einer Bank am Landwehrkanal mit Müh und Not das Leben von Albert rekonstruiert – abgebrochenes Sozialpädagogikstudium, Wohngemeinschaft mit zwei schwulen Designern in der Mittenwalderstraße, Stundenjob in der Küche vom Barcomi's in der Bergmannstraße.
    In die Wohngemeinschaft geschlurft, die Finger zum V gespreizt, Worte waren bei Späthippies nicht nötig. In der Küche eine junge Frau, die Sex wollte. „Anita“, grunzte ich, als sie in meinem Zimmer auf mir saß. Sie klatschte mir eine. Mir fiel ein, dass Anita die Ex von Thilo Müller, dem Veganer, war. „Mona“, grunzte ich und bekam wieder eine geklatscht. Die Klatschen halfen. Mona war die heimliche Geliebte von Herbert, dem Immobilienmakler in Hamburg. „Klatsch mich“, sagte ich. Sie klatschte mich. Beim fünften Mal kam ich drauf. „Lucy!“
    Thilo und Anita. Herbert und Mona. Albert und Lucy.
    Sie verstehen, das Problem mit den Identitäten. Macht jeden Killer irre.
    „Neulich wache ich auf“, sagte ich zwei Tage später zu meinem Psychiater, „und denke, ich bin HG, der Oberstudienrat aus Moers. Dann stehe ich im Bad vor dem Spiegel und frage mich, wo die Glatze über Nacht hin ist, und die Alte, die dem HG morgens immer schlechte Laune macht, ist auch nicht da, und Moers sieht aus dem zweiten Stock auch anders aus, die haben keine Scheißgedächtniskirche in Moers.“
    „Ich verstehe.“
    „Aber das ist nicht das eigentliche Problem.“
    „Sondern?“
    „Ich weiß nicht mehr, wer KH ist.“
    „KH? Karl-Heinz?“
    „Keine Namen, Scheißspinatfresser!“
    Die Kifferaugen wurden sanft, die Finger warteten, die Stirn sonderte wieder Schweiß ab. „Entschuldigung. Was genau wissen Sie nicht mehr in Bezug auf … KH?“
    „Wo der geboren wurde, wie alt er ist, was er gemacht hat, als er jung war.“
    „Er?“ Die Stimme war noch sanfter geworden.
    „Na ich, Sie Schwachkopf.“
    Er nickte, und aus den Spinnweben auf seinem Kopf purzelten aufgeregte Läuse. „Überhaupt keine Erinnerungen?“
    Ich schüttelte den Kopf. Ich wusste nicht mal mehr, wann ich Geburtstag hatte. Seit sechzehn Jahren hatte ich nicht gefeiert. Seit sechzehn Jahren kein Geschenk bekommen. „Ich will mal ein Geschenk bekommen“, sagte ich und zuckte die Achseln. „Hab sogar vergessen, wer mein Papa war.“
    „War?“
    „War, ist, keine
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